Ben Pascals „unter_Grund“ als Uraufführung am Salzburger OFF Theater
When Dostojewski meets Ulrike Meinhof: UNTER_GRUND zwingt zum Hinhören und verweigert das Wegsehen. Nicht immer angenehm, aber sehr intensiv und treffend.
Die Würde des Menschen ist unantastbar, verkündet der 1. Artikel des deutschen Grundgesetzes. Ja, eh lieb und nett, befindet die Forschung und verortet das Gros der Population trotzdem vielmehr im Objektstatus. „Wir haben heute leider keine Würde für dich“, lautet demnach der deprimierende Konsens. In eine ähnliche Richtung weist Ben Pascals UNTER_GRUND. Der junge Salzburger Regisseur, Autor, Schauspieler und noch vieles mehr hat es wieder getan und den nächsten Text aus dem Ärmel geschüttelt. UNTER_GRUND basiert auf literarischem und realem Erleben. Die Betonung liegt dabei auf Leben. Hier trifft Dostojewskis „Aufzeichnung aus dem Kellerloch“ auf Ulrike Meinhof in Isolationshaft, garniert mit zahlreichen divergenten Zitaten.
Achterbahn des Wahnsinns
Die Bühne ähnelt einem Boxring – minus Ring und plus Quadrat. Nein, das ist keine mathematische Gleichung, sondern der bildstarke Austragungsort mentaler Eigenkämpfe. Der Schauplatz wird von vier Halogenleuchten an den Ecken ausgeleuchtet. Ebenfalls boxringartig arrangiert, das Publikum. Der Luftpolsterfolien bezogene Untergrund knackt munter vor sich hin, bei jedem Schritt, als würde Popcorn in der Pfanne springen. Der Schein trügt. Das Helle und Weiße steht paradigmatisch für die Isolationszelle von Ulrike Meinhof (Agnieszka Wellenger). Ein stimmiges Bild, gleichzeitig erhält es durch das starke Schauspiel von Agnieszka Wellenger eine fast schon unerträgliche Intensität.
Die Figur befindet sich permanent im Ausnahmezustand. Von depressiv steigert sie sich in manische Phasen und vice versa. Die Auswirkungen der Isolationshaft werden schnell sichtbar. Immer wieder klopft sich Agnieszka Wellengers Meinhof mit irrendem Blick und pathologischem Gestus an die Stirn. Immer wieder wiederholt sie verbissen Worte, die ihr dann aber doch wie in Hofmannsthals Chandos-Brief als „modrige Pilze im Mund zerfallen“.
Komfortzone ade, scheiden tut weh
Auch Torsten Hermentins namenloser Ich-Erzähler ist – gelinde formuliert – mit der Gesamtsituation unzufrieden. Während sich Meinhofs Part der Kritik an der weißen Folter verschrieben hat und der Freiheit des Individuums, ist es bei Dostojewskis Figur das Bewusstsein und der freie Wille. Diskurse zum Überbewusstsein fließen homogen ein. Auch der freie Wille tendiert in die philosophische Richtung. Kein Wunder, besitzt der Autor und Regisseur schließlich einen Doktor in Philosophie. Es ist ein Heraustreten aus der Komfortzone, das er mit UNTER_GRUND beschwört.
Der Ich-Erzähler pendelt zwischen voreingenommener Gelassenheit und nervösem Sein. Torsten Hermentin katapultiert die Figur dafür großartig von Null auf Hundert. Spannend das Aufeinandertreffen der beiden Figuren, deren Dialoge sich bis dahin wie ihre Wege auf der Bühne nur abwechselten. Plötzlich ergänzen sie sich und entfalten eine noch stärkere Sprengkraft.
Luftpolsterfolie für alle
Die Luftpolsterfolie lässt der namenlose Ich-Erzähler nervös durch die Hände gleiten. Immer wieder ploppt es und marschiert er nervös durch die Reihen oder lächelt das Publikum überlegen an. Bösartig, hässlich, aber hochgebildet, so beschreibt sich der Mann selbst und hat sichtlich Freude am Amoralischen. Das aber wiederum gleichzeitig mit Moral verknüpft zu sein scheint. Ein schwieriges Spiel, das die zwei Protagonisten mit großartiger Empathie und Ausdruckskraft präsentieren. Das sitzt bis ins letzte hysterische Lachen und in die tiefste Stille. Dort, wo nur noch das leise Ticken der Uhr an der OFF-Bar zu vernehmen ist.
Der Würde dicht auf den Fersen
Eingangs und zwischendurch läuft das Band. Hier ändert sich einmal mehr die Perspektive. Basieren die beiden Figuren auf Monologen aus der Ich-Perspektive, so wird die Stimme aus dem Off zum Beobachtenden, der das Resümee seiner Forschungen am Menschengeschlecht kundtut (Ted Kaczynski und Bomber Manifest). Es ist ein allgemeiner, alles überschauender und kategorisierender Blick, der den Objektstatus durch seine bloße Existenz bestätigt. Gleichzeitig stellt Ben Pascals UNTER_GRUND der Zeit ein düsteres, unangenehmes Zeugnis aus. Hinhören lohnt sich. Auch wenn es bisweilen eine Herausforderung darstellt, erhöht es dennoch die Chancen, der eigenen Würde auf die Spur zu kommen – und anderen den Objektstatus zu ersparen.
Fotonachweis: Benjamin Blaikner
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