„Cyrano de Bergerac“ am Salzburger Landestheater
Offline und ohne Filter. CYRANO DE BERGERAC als Plädoyer einen Blick hinter die Maske zu werfen. Temporeich und frech am Salzburger Landestheater inszeniert.
Er bereiste mit seiner Feder den Mond und die Sonne. Dort traf er auf erstaunliche Bewohner, die sich von Duft ernähren und in Sonetten und Oden handeln. In der Realität setzte Cyrano de Bergerac seine Pointen nicht nur mit der Feder, sondern genauso präzise mit der Degenspitze. Obendrein war der begnadete Fechter und Autor noch Libertin und der Aufklärung um zwei Schritte voraus. Bereits zu Lebzeiten rankten sich abenteuerliche Geschichten um den Adeligen mit der außergewöhnlich langen Nase. Aus diesem Fundus schöpfte auch Edmond Rostand und widmete dem „quecksilbrigen Satiriker“ pi mal Daumen 250 Jahre später ein komplettes Stück, CYRANO DE BERGERAC. Die Folge war ein de Bergerac-Hype, der zur Zeit auch am Salzburger Landestheater grassiert.
In aller Plot-Kürze
Schöne Menschen sollen es ja gemeinhin leichter haben. Das war offenbar bereits Mitte des 17. Jahrhunderts genauso. Damals lebte Cyrano de Bergerac, Literat mit überschäumender Fantasie und Soldat mit hintergründigem Witz, gleichzeitig allerdings auch wenig ansehnlich und unglücklich in seine Cousine Roxane verliebt. Die hatte ihr Auge bereits auf Christian geworfen, einen Kadetten Cyranos. Der wiederum war zwar wunderhübsch, es mangelte ihm aber an Eloquenz. Cyrano übernimmt Christians Feder und schreibt der geliebten Cousine die schönsten Briefe. Als Christian kurz nach der Heirat mit Roxane stirbt, bringt es Cyrano trotzdem nicht übers Herz, ihr die Wahrheit zu gestehen. Irgendwie kommt sie trotzdem ans Licht, da ist es aber einmal mehr zu spät.
#OhneFilter
In Zeiten von Jugendwahn und Selfie-Zwang ist die Sache mit der Schönheit eine sehr präsente. Carl Philip von Maldeghems Inszenierung greift dieses Sujet auf – und setzt für sein Ensemble auf junge Frauen, die in Hosenrollen schlüpfen. Das Ergebnis ist eine instagramable Generation Z Besetzung, die allerdings auf Filter verzichtet und die eigene Gemachtheit vorführt. Oder um es anders zu formulieren, bei diesem CYRANO DE BERGERAC dominiert der aufgepinselte Schnurrbart und der forsche Gang in Lederhosen, die man fast schon knirschen hören kann. Die vorlaute Kadettenschar lässt sich keinesfalls lumpen und imitiert fröhlich und keck das maskuline Gebaren.
Ghostwriter mit butterweichem Kern
In die Rolle des hässlichen Romantikers schlüpft Christoph Wieschke, auch wenn das mit der Entstellung so eine Sache ist. Die Nase selbst wirkt keinesfalls abschreckend und auch die Perücke könnte schlimmer ausfallen. Vielleicht ist es aber auch das liebenswerte Wesen de Bergeracs, das Wieschke gelungen herausarbeitet und für sich einnehmen lässt. Den butterweichen Kern lässt der Schauspieler in den Szenen mit der Angebeteten schmelzen. Plötzlich beginnt der andernfalls bärbeißige Spötter und selbstkritische Redner ganz sanft seine Liebesschwüre vorzutragen. Wunderbar die Szene, als er Christian de Neuvillette souffliert und die Führungsrolle übernimmt, weil sich der andere gar zu tollpatschig anstellt. Ein humoriges Marionettenspiel mit Figur aus Fleisch und Blut.
Hosenrollen in CYRANO DE BERGERAC
Christian de Neuvillettes wird von Nikola Jaritz-Rudle verkörpert, die den leidenschaftlichen Verehrer mit breitbeinigem Gang und gelungener Einfalt zum Besten gibt. Gleichzeitig zeigt sich Christian nicht minder selbstkritisch und wirkt dabei erstaunlich intelligent. Er weiß um den eigenen Mangel an kluger Beredsamkeit, den er ironisch immer wieder thematisiert. Der Deal scheint fair, der eine ist die Hülle, der andere steuert die Gedanken bei. Zumindest zwischen den Männern. Auch wenn das Ende tragisch anmutet, die Komik während des Stücks legitimiert das Komödien-Genre. In die gleiche Kerbe schlägt Tina Eberhardts Roxane. Bei de Bergerac liegt die Klugheit in der Familie zu liegen; seine Cousine besticht mit scharfem Verstand und kontert mit sarkastischen Pointen. Lebensfroh und mit Witz lockert sie das Spiel um den Mann mit der besonderen Nase auf.
Mondsüchtig
Selbstdarstellung und Körperkult sind Brücken, die Philip von Maldeghems CYRANO DE BERGERAC über Rockopera-Analogien und temporeiches Wummern ins Hier und Jetzt führen. Das verleiht der Produktion eine moderne Note und wird gleichzeitig durch Lichteffekte und puristisches Bühnenbild intensiviert. Sehr gelungen die Szene, als Cyrano gegen einhundert Mann kämpft, die nur als Strahlen der Scheinwerfer präsent sind. Don Quijote lebt, aber sein Kampf endet erfolgreicher. Apropos Bühnenbild. Das Stück beginnt mit einer Prolepse, wenn Roxane in der ersten Szene als Klosterschwester auf der Bühne steht. Genau dort wird das Schicksal sie am Ende hinführen. Pfiffig, die diversen Mondanspielungen. Sei’s das kleine „Mann im Mond“-Ständchen von Christoph Wieschke auf der Ukulele oder anderem Mondgeplänkel. Die Nähe von Cyrano de Bergerac zum hellsten Stern am nächtlichen Firmament wird immer wieder betont.
Die Botschaft von CYRANO DE BERGERAC ist trotz allem Un-Happy-End zeitlos und treffend. Was zählt, ist nicht die Maske, sondern das, was darunter steckt. Keine schöner Schein, sondern echtes Ich. Dafür lohnt es sich auch, den Blick vom Handy zu nehmen…
Fotonachweis: Anna-Maria Löffelberger
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