Das Gauklermärchen | Theater ecce

Das Gauklermärchen – Theater ecce

Wer Michael Ende hört, denkt meistens an „Momo“ oder „Die unendliche Geschichte“. Vielleicht auch an den „satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch“, selbst wenn der Name vermutlich niemals fehlerfrei über die Lippen kommt. Das Theater ecce dreht gängigen Erwartungen aber eine lange Nase. Für ihr neues inklusives Theaterstück pfeift das Haus mit den sympathischen Ecken und Kanten auf Herkömmliches und greift zum GAUKLERMÄRCHEN – einem Theaterstück von Ende, mit 7 Bildern plus Vor- und Nachspiel.

In aller Plot-Kürze

Der Circus von Clown Jojo und seinen Freunden steckt in der Bredouille. Eine großer Konzern will auf ihrem Gelände eine Chemie-Fabrik errichten, die Bagger stehen schon vor der Tür. Da bietet das giftige Unternehmen einen Deal an: Der Circus soll als Werbe-Circus für den Konzern durch die Gegend touren und ihre Produkte propagieren. Unter der Bedingung, dass sie Eli loswerden. Die Circus-Leute haben das behinderte Mädchen vor drei Jahren halb verhungert in einem Straßengraben gefunden, mitgenommen und aufgepäppelt. Im Angesicht der eigenen Not sind alle bis auf Jojo mit dem Deal einverstanden. Bevor aber jemand eine Unterschrift unter den Vertrag setzen kann, bittet Eli Jojo ihr ein Märchen zu erzählen. Der Clown beginnt von Prinzessin Eli aus dem Schloss mit dem bunten Glas und Prinz Joan aus dem Morgenland zu berichten.

Gesellschaftskritik in Märchenform

Das Faszinierende an der Literatur von Michael Ende sind die fantastischen Welten, die er für Kinder spielerisch öffnet. Märchen soweit das Auge reicht. Liest man den gleichen Text Jahre später als Erwachsener, entwickelt er unerwartet neue Qualitäten und punktet mit präziser Gesellschaftskritik, die meistens auch noch philosophisch dargeboten wird. Die märchenhaften Elemente zweckentfremdet auch Reinhold Tritschers Interpretation des GAUKLERMÄRCHENS und lädt damit die Erwachsenen zu gesellschaftskritischen Reflexionen ein. Gleichzeitig entlässt er sie nicht aus dem märchenhaften Milieu, das allerdings dystopische Züge trägt. Düster und puristisch mutet das Bühnenbild an, nur die Figuren und ihre schillernden Facetten könnten für Stimmung sorgen; das tun sie eingangs allerdings nur reduziert, denn die Lage der bunten Truppe ist kritisch und ihre Existenz steht auf dem Spiel (Ausstattung: Alois Ellmauer, Kostüme: Lili Brit Pfeiffer, Choreografie & Akrobatiktraining: Ulfried Kirschhofer).Das Gauklermärchen | Theater ecce

Noveau Cirque und der dumme August

Auch wenn Elemente des Noveau Cirque einfließen (beeindruckende Choreografien in luftiger Höhe: Pamina Milewska, Lisa Kuhn oder auf festem Boden: Beata Milewska, Jurek Milewski) bleibt das typisch circus-lastige, die grelle Glitzerwelt, in Reinhold Tritschers GAUKLERMÄRCHEN außen vor. Einzig Eli entzieht sich der gedrückten Stimmung. Das Kind mit dem Handicap wird von Waltraud Grasfurtner mit ansteckend guter Laune gespielt und erhält von Jojo Unterstützung (Jurij Diez, der den Clown in sich entdeckt). Jojo kann das Herumalbern nicht lassen und marschiert bereits mit linkischen Schritten in die Manege, um den anderen von der Unterredung mit dem Chemiekonzern zu berichten. Dabei zieht er lustige Gesichter, wirft mit humorig-wörtlichen Sprachbildern um sich und betont immer wieder, dass er ja eigentlich dumm sei. Selbstverständlich verbirgt sich hinter der Fassade des dummen Augusts die eigentliche Klugheit, die Jurij Diez mit viel Empathie ans Publikum bringt. Als Bauchredner Bux heitert Gerard Es die Circus-Stimmung mit Puppe Ottokar auf.

Es glitzert und funkelt

Die bunte Circus-Welt scheint in der Ausstattung für das Familienstück seltsam fern; daraus lässt sich schlussfolgern, dass es hier verstärkt um die Eltern geht. Zumindest Prinzessin Elis Kapitel erfüllt gängige Erwartungen. Es glitzert und funkelt am Kostüm von Kalophain, dem Spiegel (elegant Lisa Kuhn) – es glitzert und funkelt aber auch in der Welt, die der schillernd luftige Zeitgenosse und Prinzessin Eli (Victoria Morawetz) in den Köpfen der Zuschauer erstehen lassen. Als Spiegelbild ergänzt sich Victoria Morawetz so hervorragend synchron mit Pamina Milewska, dass Kinderstimmen im Publikum die gleiche Person dahinter vermuten. Freundlich scheint aber auch die Welt des Prinzen Joan (Jurij Diez), der märchenlastig zur Brautschau bittet und dann doch damit einfährt. Musikalisch begleitet Marie-Kristin Burger mit Live-Musik durch das Stück und sorgt für authentisches Gaukler-Flair.

Der eine entdeckt den Clown in sich, der andere die Spinne: Wolfgang Kandler läuft als boshafte Spinne Angramain zu Hochform auf. Im hautengen Kleid und mit Highheels bewaffnet, mit viel Schnalzen und noch mehr kreativen Spinnenlauten verbreitet Angramain auf der Bühne das Grauen. Slapstick für die Großen, wohliges Schaudern für die Jüngsten.

Alles Märchen!

Das Schöne am GAUKLERMÄRCHEN sind das Verschwimmen von Realität und Fiktion, Endes Paradedisziplin. Jojo und seine Freunde werden zu Akteuren der eigenen Erzählung und wechseln die Form. Im fiktiven Jetzt- und Morgenland herrschen Verse und plötzlich spricht auch das bunte Circus-Trüppchen in gebundener Sprache. Das Besondere an Reinhold Tritschers Inszenierung ist aber auch das inklusive Ensemble, das sich hervorragend ergänzt und die eigenen Stärken wunderbar herausziseliert. Nur die Dauer scheint für (manche) Kinder ab 6 Jahren etwas ambitioniert; vor allem wenn das Regie-Werk gegen Ende hin von philosophischen Reminiszenzen und düsteren Verhältnissen gepflastert ist. Vielleicht wäre etwas mehr buntes Circus-Flair in der Ausstattung dann doch angebracht gewesen. Wobei, der umfunktionierte Kran, der auch locker als fantastischer Dinosaurier durchgeht, entpuppt sich definitiv als Highlight, nicht nur für kleine Jungs. 😉

 

Fotonachweis: Foto Flausen

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