Kinder an die Macht
Dass das Leben kein Ponyhof ist, zeigt die neue Kinderoper am Landestheater Salzburg. Mit FLÜCHTLING werden die Jüngsten kindgerecht an eine Wirklichkeit jenseits von Zuckerwatte und Instagram-Filter herangeführt.
Feierlaune auf dem Schulhof, die Ferien stehen vor der Tür. Ausgelassen liefern sich die Kinder mit Wasserpistolen feuchte Schlachten und haben sichtlich Spaß daran. Das Leben in dieser Europa-Idylle könnte so schön sein, als mit dem unvermuteten Auftauchen von Flüchtlingsmädchen Djamila ein kleines Stückchen sehr realer Krieg im Klassenzimmer Einzug hält – aus dem Spiel wird Wirklichkeit.
Es ist kein bloßer Trend: Omnipräsente Themen wie die Islam-Debatte oder die Flüchtlingskrise haben längst Eingang in die intellektuellen (und nicht ganz so intellektuellen) Würfe unserer Zeit gefunden; egal ob Literatur, Kunst oder Theater, die Kulturgeschichte speist sich zur Zeit vor allem aus Gegenwärtigem. Da war der Sprung ins kindliche Repertoire eine logische Konsequenz. An die knüpft auch Lucio Gregorettis Kinderoper FLÜCHTLING an, die er gemeinsam mit dem französischen Librettist Daniel Goldenberg im Spiel mit Kindern entwickelte. Das klingt nach einem großen Kindergeburtstag, war es aber vermutlich nicht ganz. Dafür orientiert sich die feinfühlige Kinderoper zielsicher an seinem jungen Publikum und führt didaktisch versiert an ein märchenhaftes Happy-End – von Kindern für Kinder also – und in Salzburg unter der Leitung von Christina Piegger (Inszenierung).
Die besseren Erwachsenen…
… sind natürlich Kinder. Soviel Empathie mit dem jungen Publikum zählt bei einer Kinderoper zur Kür. Aus diesem Grund halten auch die Jüngsten das Zepter fest in der Hand und lassen es so richtig krachen. Stimmgewaltig fällt der Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor unter der musikalischen Leitung von Wolfgang Götz immer wieder ein und feiert den Ferienbeginn oder das moralische Hoheitsgefühl. Das wird euphorisch gegen jede fremde Übernahme verteidigt, selbst dann, wenn die vorlaute Horde auf Abwege gerät. Die von den „lieben“ Kleinen verspottete Mitschülerin Noémi kann ein Lied davon singen. Tut sie auch, wenngleich es in ihrem musikalischen Kontra eher um Ehrgeiz und versteckten Neid geht. Hier wird sich nichts geschenkt, im Klassenzimmer herrscht verbaler Ausnahmezustand. Den liefern die ganz kleinen, etwas größeren und jugendlichen Darsteller*innen mit sehr viel Empathie und noch mehr Leidenschaft. Klassenstreberin Noémi wird von Clara Stein mit dicker Brille und trotzigen Kommentaren erfrischend selbstbewusst dargestellt. Dass sie aufgrund ihres Fleißes keine Freunde hat? Kümmert die Einzelgängerin wenig. Ihre eigene Flüchtlingsgeschichte wirft dann allerdings ein ganz neues Licht auf die ehrgeizige Schülerin. Maria Straßl ist eine vokal wunderbar starke Djamila. Die hat als (in)direktes Movens der Handlung zwar nicht ganz so viel Text wie Schulklasse oder Lehrer-Pärchen, dafür aber zumindest eine berührende Flüchtlingsgeschichte im Ärmel, die nicht nur die Kinder rührt.
Aufregung im Kollegium
Die Erwachsenen-Partien wurden dann aber – junges Publikum hin oder her – nicht mit Kindern besetzt. Stattdessen versprühen Lehrerin Juliette (Tamara Ivaniš), Kollege Maxime (Gürkan Gider) und der Direktor (Elliott Carlton Hines) jede Menge internationales Opernflair. Während das Lehrer-Paar meistens mit turteln beschäftigt ist, wenn sie nicht gerade Flüchtlingsmädchen retten, läuft Elliott Carlton Hines als widerspenstiger Direktor zu humoresken Hochformen auf. Mit dem jungen Publikum kennt sich der Tenor offensichtlich aus und weiß, dass mehr in diesen Fällen ganz einfach nur mehr ist. Und so verdreht er theatralisch die Augen oder schmollt mit abgewendetem Kopf, wenn er merkt, dass seinen Anweisungen eigentlich so wirklich gar keiner Folge leistet. Das Publikum hat sichtlich Spaß an den ausdrucksstarken Sperenzchen des Sängers. Auf den kindlichen Humor zielt auch die Sprache der zeitgenössischen Kinderoper, die sich ganz den sprachlichen Spielereien verschrieben hat. Kein Verspaar, das ohne Reim in den Raum entlassen wird und die Achtung vor dem Librettisten und seiner*m Übersetzer*in rasant nach oben schnellen lässt. Dafür verzeiht man ihm sogar den stark reduzierten Plot, der tatsächlich erstaunlich mager ausfällt.
Wider dem Zufall
Bei FLÜCHTLING wurde nichts dem Zufall überlassen. Im Gegenteil, Christina Pieggers Regiearbeit ist geradezu akribisch auf die perfekte Vorzeige-Kinderoper ausgerichtet. Neben der exemplarischen Handlung, die sich im Zeitraffer – es stehen nur 60 Minuten zur Verfügung – entfaltet oder dem fröhlichen Ensemble, fügt sich selbst das Bühnenbild geradezu vorbildhaft in die Geschehnisse ein (Bühne: Thomas Pekny, Kostüme: Alois Dollhäubl). Dazu wurde ein überdimensionaler Paravent-Baukasten entworfen, den das erwachsene Ensemble in Eigenregie oder mit Unterstützung von fleißigen Hinterbühnen-Helferlein emsig verschiebt – während es nebenbei große musikalische Emotionen stemmt. Die werden vom dezent verborgenen Mozarteumorchester Salzburg wunderbar akzentuiert und kreieren einen gelungene Einstieg in die Opernwelt der Großen.
Fotonachweis: Anna-Maria Löffelberger
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