1001 WINTERFEST-NACHT.
Das Festival für zeitgenössische Circuskunst eröffnet 2018 mit der Österreich-Premiere von HALKA, dem Programm der Groupe Acrobatique de Tanger: Es steppt der Bär und tobt die Lebensfreude.
Fernweh-Geplagte dürfen aufatmen. Wen die Sehnsucht nach der Fremde quält, braucht in kein Last-Minute-Ticket Richtung Ägypten oder einen Kurzurlaub nach Jordanien zu investieren. Das Winterfest feiert den Vorhang-Fall 2018 mit HALKA, einem märchenhaft-poetischen Circusprogramm voller Lebensfreude der Groupe Acrobatique de Tanger aus Marokko. Vor mehr als zehn Jahren schlossen sich die traditionellen Akrobaten zu einem Ensemble zusammen. Jetzt eröffnen sie als erste arabische Kompagnie das etablierte Festival. Gleichzeitig setzt das Winterfest 2018 mit seiner Wahl ein Zeichen für Toleranz und Miteinander – passende Botschaften für die vorweihnachtliche Zeit.
Back to the roots
Manche Show-Namen mögen willkürlich gewählt sein, HALKA der Groupe Acrobatique de Tanger ist es nicht. Der Begriff „Halka“ stammt aus dem Arabischen und steht für einen Gesprächs- und Erzählkreis. Die bilden sich auf Plätzen und werden üblicherweise von Märchenerzählern, Musikern, Wunderheilern, Gauklern und ähnlichen Figuren aus 1001 Nacht bevölkert. Hier steppt der Bär und tobt die Lebensfreude, die den Einheimischen Abwechslung vom Alltag bietet. Mit HALKA erklärt die Groupe Acrobatique de Tanger die Form zum Programm und die darf ruhig wörtlich aufgefasst werden. Die Circus-Bühne ist ein ständiger, oszillierender Kreis, der sich in rasantem Tempo und mit märchenhafter Präzision teilt, drittelt oder in die Höhe wächst.
Menschenpyramiden und Wörter
Apropos Märchen; die märchenhaften Reminiszenzen dominieren bei den traditionellen Akrobaten aus Marokko und ihrem stellenweise atemberaubenden Programm. In geradezu leichtfüßiger Manier werden Körper auf Körper zu Menschenpyramiden gestapelt. Der Zelt-Himmel scheint plötzlich zum Greifen nah und die Akrobaten? Die singen in ihren ambitionierten Positionen, während sie vom Boden aus mit Percussion und anderen Instrumenten begleitet werden. Dass scheint schlüssig, schließlich werden Gesang, Musik und rezitative Momente bei HALKA großgeschrieben. In kleinen individuellen Erzählkreisen strömen die Geschichten und fließen die fremdklingenden Wörter in geradezu hypnotischer Tonlage. Aber wer braucht an diesem Abend schon tatsächlich Arabisch-Kenntnisse? Die Worte und Gespräche reihen sich wie Gesänge aneinander und entführen in eine andere Welt.
Westliches Gängelband
HALKA setzt auf eine expressive Bildsprache. Sakrales vermischt sich mit Archaischem, Spektakuläres mit Profanem. Die entstehenden Bilder bieten reichlich Raum für Interpretationen. Da sind zum Beispiel die westlich gekleideten Männer, die eingangs wie Türsteher wirken, sich dann aber als Akrobaten mit Bodenhaftung outen. Außerdem führen sie ihre traditionell gekleideten Landsmänner an Bauchgurten durch den Manegen-Kreis, als hingen sie an einem Gängelband. Und trotzdem vollführen die anderen ihre Sprünge und Salti mit unglaublicher Leichtigkeit. Traditionelle Tänze mischen sich mit neuen Einflüssen und Musik, die an einer Stelle sogar verdächtig nach Wagner klingt. Im Wüstensand entstehen starke Szenen, die durch herab rieselnden Sand verstärkt werden. Und immer ist da die Lebensfreude, die selbst in melancholischen Momenten dominiert.
Orient im Volksgarten
HALKA spielt mit dem eigenen Ursprung: Der Halbkreis zieht nicht nur lebenshungrige Einheimische und neugierige Touristen an, sondern auch Taschendiebe. Keck springen vereinzelt Akrobaten durch den Raum und wird mit Schuhen geworfen. An anderer Stelle ist die Choreografie schlichtweg amüsant und wird eine slapstickartige Akrobatik zelebriert, die die wenigen kleinen Zuschauer am Premieren-Abend in hörbare Lachanfälle ausbrechen lassen und sich infektiös über den ganzen Raum ausbreiten.
Der Westen und die alte Kultur harmonieren erstaunlich gut. Das Resultat ist eine Geschichte aus 1001 Nacht, die die maghrebinische Kompagnie bildstark und sehr körperlich erzählt. Die Akrobaten verweben das Markokko der Vergangenheit mit dem der Gegenwart und folgen dafür konsequent dem märchenhaft-poetischen roten Faden.
Fotonachweis: Richard Haughton
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