KUNST: Aris Sas, Peter Kratochvil, Jörg Stelling

Kunst – Armes Theater Wien

Vive la bourgeoisie!

Mit Yasmina Rezas berühmten Dramolette KUNST setzt das Armes Theater Wien auf eine leichtfüßige französische Komödie mit Kultcharakter. Da bleibt kein Auge trocken.

Eine weiße Leinwand sprintet kichernd über die Bühne. Da freut sich jemand und zwar gewaltig. Dass es sich dabei um kein paranormales Phänomen handelt, bezeugen die Füße, die keinesfalls zu dem weißen Werk gehören. 1,50 auf 1,00 Meter und schon eine Berühmtheit. Aufmerksame Theaterbesucher erkennen den Stil sofort: KUNST – eine echte Yasmina Reza… Komödie. Die französische Autorin zählt zu den am häufigsten aufgeführten zeitgenössischen französischen Autoren. Das liegt daran, dass sie sich auf spritzige Dialoge und heitere Plots spezialisierte, die sich zumeist mit dramatischen Konflikten in die Höhe schrauben. Beste Voraussetzungen also, um auch die diesjährige Sommerproduktion des Armes Theater Wien zu stellen (Regie: Erhard Pauer).

In aller Plot-Kürze

Dermatologe Serge erwirbt ein Gemälde und könnte vor Stolz platzen. Ein echter Antrios! Was ihn so begeistert durch die Wohnung stürmen lässt, erfüllt seinen Freund Marc mit Amüsement. „200.000 hast du für diesen Scheiß bezahlt?“, erkundigt der sich fassungslos – und bricht in schallendes Gelächter aus. Das trifft Serge, der eine Kunst-Debatte vom Zaun bricht, die höchst persönliche und jahrelang versteckte Probleme in der Männerfreundschaft zu Tage fördert. Und weil sich die beiden zu Zweit schon vor Ewigkeiten an die Gurgel gegangen wären, ist da noch Yvan: der neutrale Dritte mit extrem flexibler Meinung.

Temporeicher Männerreigen KUNST

Erhard Pauer inszenierte den französischen Komödien-Klassiker, der mit seinen 25 Jahren bereits Twen-Status erreicht hat, als temporeichen Männerreigen. Hier bin ich Mann, hier darf ich’s sein – und auch mit meiner sanften Seite klotzen. Diese eminent weibliche Ausrichtung der Charaktere liegt auch an der weiblichen Autorenschaft. Gleichzeitig sind es die daraus resultierenden eloquenten Dialoge, die sich persistent selbst in Frage stellenden Argumentationen, die dem kurzweiligen Dramolette seine pfiffige, amüsante Note verleihen. Endlich darf Mann seine Frau stehen und Erhard Pauers Inszenierung nimmt das wörtlich. Sprachaffin wirft das Ensemble mit erlesenen Ausdrücken um sich. Vive la bourgeoisie! Dabei scheut das Schauspiel-Trio keine emotionalen Mühen. KUNST: Peter Kratochvil & Jörg StellingGanz dem weiblichen Duktus folgend, vollführt es kurzweilige, heitere Wortklauberei, der auch sprachliche Nuancen und Tonfälle nicht entrinnen können. Marcs lachend losgeprustetes „Scheiße“ wird zum Movens, dass das heitere Drama ins Rollen bringt. „Lies Seneca!“ verschärft die Lage zusätzlich.

Bruch mit bourgeoisem Hochgefühl

Mit KUNST feiert sich die Bourgeoisie selbst und führt sie zugleich spitzzüngig ad absurdum. Erhard Pauer legt noch ein Scherflein nach; der Regisseur bricht für seine Inszenierung mit dem bourgeoisen Hochgefühl, wenn seine Schauspieler immer wieder Sätze im österreichischen Standard mit starkem Wien-Bezug hinauspfeffern. Apropos Sprachlichkeit. Sehr gelungen auch das Heraustreten der Figuren aus der Handlung, um in der Erzählperspektive den Kontrahenten vorzustellen und in die Handlung einzuführen. Daraus sind bereits die Konstellationen abzulesen. Während sich die beiden Antipoden Serge und Marc gegenseitig erklären, bleibt Yvan als neutraler und ausgleichender Dritter sich selbst überlassen und nimmt die eigene Geschichte in die Hand.

Brüder im Geiste

Im Volksmund wird ja gerne gemunkelt, dass Eigenschaften, die man an anderen kritisiert, meistens Teil der eigenen Probleme darstellen. Serge (Aris Sas) und Marc (Jörg Stelling) können ein Lied davon singen. „Arrogant“ sagt der eine, „ein Snob“ der andere – und erfüllen selbst ebenfalls sämtliche Kriterien.KUNST: Aris Sas Für Marc setzt Jörg Stelling auf expressive Mimik und Überzeichnung. Sein Marc spöttelt mit trockenem, wahlweise auch pechschwarzem Unterton. Die verbalen Seitenhiebe sitzen messerscharf und trotzdem versteckt sich hinter der ironisch-abgebrühten Fassade ein weicher Kern – der führt allerdings meistens in einer Abwehrreaktion zu noch mehr beißend-bösem Witz. Dermatologe Serge ist das Yin zum Yang des alternativ und tendenziell links disponierten Marc. Den glücklich Entheirateten treibt sein unbedingter Aufsteigerwille ins Museum und lässt ihn zum bekennenden Anhänger des Dekonstruvismus avancieren. Der monochrome Antrios auf weißer Leinwand? Serges höchstes Glück!

Gleichzeitig greift Aris Sas‘ Serge tiefer. Er setzt nicht nur auf die zu erwartende bourgeoise Eitelkeit. Wenn er Serge von seinem Bild schwärmen und ihn verzückt damit durch den Raum flitzen lässt, dann besitzt diese kindlich-naive Freude etwas unglaublich Rührendes. Die kann allerdings rasend schnell in das hässliche Gegenteil kippen. Als Marc das böse S-Wort äußert, wird Serge zum verbal wild um sich schlagenden Energiebündel. Der bitterböse-ironische Unterton, der bei diesen Gelegenheiten in Strömen fließt, steht dem Marcs in nichts nach.

Fähnlein im Wind

Das rückgratlose Wesen von Yvan fängt Peter Kratochvil souverän ein und verleiht ihm dabei etwas sehr Anrührendes. Yvan ist der Spielball zwischen Marc und Serge, der die jahrelang Männerfreundschaft erst ermöglicht. KUNST: Aris Sas & Peter KratochvilAls Friedensstifter richtet er sein Fähnlein gerne nach dem Wind und beweist einen starken Rücken. Wunderbar, wenn sich die Stimmung plötzlich wendet und Serge und Marc auf den ahnungslosen Yvan stürzen. Der kurz vor der Heirat stehende Freund steckt das nicht so einfach weg; zuerst tyrannisiert ihn die eigene Familie, jetzt auch noch seine besten Freunde. Irgendwann droht er mit Tränen – eine zutiefst komische Situation, gerade weil sie sich aus der überzeichneten Dramatik speist und Yvan längst zum Sympathieträger avancierte. Genauso wie sein Hang zum Hypochondertum, wie die kurzweilige Ohrfeigen-Episode eindrücklich demonstriert.

Lachtherapie

Lachen – genau darum geht es in Yasmina Rezas KUNST. In einem Interview zur Uraufführung erklärte die Autorin, dass es tragisch wäre, in so einer Situation nicht lachen zu können. Was dann passieren würde? Nun ja, das darf seit 25 Jahren anhand von KUNST bewundert werden. Erhard Pauer setzt den Lachreigen mit seiner Inszenierung des französischen Klassikers fort. Er stülpt dafür das Innerste seiner Figuren nach Außen und stellt mit einem weißen Bild und horizontalen Streifen die alten, eingerosteten Verhaltensmuster einer langen Männerfreundschaft auf den Prüfstand. Gleichzeitig zeichnet er ein sehr menschliches Bild. Die Freundschaftshygiene scheint aufzugehen: amüsiertes Gelächter im Publikum und ein starker Schlussapplaus. Alles richtig gemacht.

 

Fotonachweis: Christian Vondru

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