Knock Knock: Michael Kolnberger inszenierte Neil LaBute mit „Tief in einem dunklen Wald“ auf begrenzter Studiobühne als topographisches Spiegelbild der amerikanischen Trump Wähler-Seele.
Ein dunkler Wald, eine einsame Holzhütte und ein Gewitter. Manchmal verrät das Setting bereits den ganzen Plot. Vor allem, wenn Neil LaBute auf dem Programmflyer steht. Der übernahm für „Tief in einem dunklen Wald“ das Motiv des wilden Waldes aus der mittelalterlichen Literatur und kreierte seinen ganz eigenen locus terribilis. Ein gefundener Stoff für Michael Kolnberger. Gemeinsam mit Arthur Zgubic (Raum und Kostüme) transferierte er den modernen Mythos auf die Bühne der ARGEkultur.
In aller Plot-Kürze
Betty ist erfolgreiche Literaturprofessorin, scheinbar glücklich verheiratet und Mutter zweier Kinder. Die kleine Familie besitzt eine abgelegene Waldhütte, in die sich Betty oft zurückzieht, um zu arbeiten. Sagt sie zumindest. Ihre Ehe liegt aber schon seit Längerem im Argen und sie verliebt sich just in einen Dissertanten, den sie dort einquartiert hat. Unvermutet bittet sie eines Tages ihren Bruder Bobby, zu dem sie kaum Kontakt pflegt, um Hilfe beim Auszug. Dessen inzestuöse Gefühle entflammen einmal mehr für die unerreichbare Schwester und die verbirgt ein mindestens genauso schwerwiegendes Geheimnis.
Neil LaBute: Amerikanischer Albtraum
Der Mythos lebt. Zumindest an diesem Abend in der ARGEkultur. Mit modernen Mitteln evozieren Michael Kolnberger und sein Team einen ganz eigenen locus terribilis, ohne dabei aber auf das Offensichtliche zu setzen. Kein wahr gewordener plastischer Bühnentraum, der als Abklatsch der Realität durch einen tiefen Wald führt. Stattdessen Reduktion und Monochromie, wohin das Auge blickt. Und trotzdem wird die Inszenierung von „Tief in einem dunklen Wald“ genau durch diese visuelle Zurücknahme zu einer Topografie des Grauen, das die pathologischen Züge ihrer Figuren auf dem Serviertablett präsentiert. Auch wenn man in diesem Fall vermutlich von einem Servierteller in Form einer runden Drehbühne sprechen sollte. Die zieht unbeirrt und stetig ihre Kreise. Die schwarze und weiße Video-Rotation entfaltet dabei eine faszinierend hypnotisierende Wirkung, mit der Bobby seiner Schwester ein Puzzleteil nach dem anderen entlockt. Unterbrochen von misogynen Werbebildern aus den 50ern.
Das Trump Wähler-Klischee
„Tief in einem dunklen Wald“ kokettiert mit antiken Mustern und Metaphern. Rassismus und Sexismus zählen dabei zur Pflicht, Inzest zur Kür. Das liegt aber nicht nur am archaischen Programm, sondern vor allem auch an LaBute, dessen Texte immer um die gleichen Motive kreisen. Apropos, Gewalt darf nicht fehlen. Tut sie auch nicht, dafür sorgt Bálint Walters Charakter Bobby – oder das, was man sich als wohl situierter amerikanischer Erfolgsautor (der auch Studenten für sich schreiben lässt) halt so unter einem einfältigen Arbeiterklasse-Sprössling so vorstellt. Der flucht und schimpft vor sich hin, ist sich für kein f-Wort zu schade und verurteilt alle Frauen als Verführerinnen, die den Männern doch nur das Leben erschweren und sich durch fremde Betten schlafen. Resolut und bestimmt brüllt sich dieser Bobby seinen Unmut von der Seele. Dass dann die alten inzestuösen Gefühle wieder aufflammen, nun ja, wirkt etwas Zuviel der Vorurteile und scheint redundant für diesen vollgepackten Abend.
From rags to riches – und zurück
Betty indes ist die angesehene Literaturprofessorin. Dass sie ebenfalls dem Arbeitermilieu entspringt, ist rasch an ihrer Klamotte festzumachen. Da dürfen pinke Leoleggings unter dem penibel dekonstruierten Oversize-Shirt zum Einsatz kommen, inklusive subtiler Schmutzflecken. Die Provenienz, scheint „Tief in einem dunklen Wald“ klarzustellen, lässt sich nicht so einfach wegschwindeln. Auch wenn das Flunkern der eloquenten Dekanin einfach über die Zunge rollt. Tatsächlich verleiht ihr Elisabeth Breckner eine unbeschwerte, leichte Note, die erst im Laufe der Zeit zu kippen droht und das immer größere Ausmaß ihrer verdrehten Tatsachen offeriert. Selbst am Rande des Abgrunds macht es Breckner dem Publikum denkbar einfach, mit der divergenten Figur zu sympathisieren.
Michael Kolnbergers Inszenierung „Tief in einem dunklen Wald“ ist ein einziges Für und Wider. Hier werden Geschlechterbilder und soziale Verhältnisse vorgeführt und dekonstruiert. Summa summarum eine feine Mischung, die sich auch den kleinen aber feinen Seitenhieb auf den hypersensiblen Wokeness-Trend nicht verkneifen lässt. Long live America, dieses Land der begrenzten Unmöglichkeiten.
Fotonachweis: Piet Six
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