Elles ne regrettent rien
Spatz und Engel pfeifen es vom Uraufführungs-Dach: VERGISS NIE, DASS ICH DICH LIEBE ist ein charmant-amouröser Ausflug in die Vergangenheit zweier großer Chansonnetten.
„Spatz und Engel“, „Geliebte Freundin“, „Edith Piaf und Marlene Dietrich. Zwei Freundinnen“… Es ist höchste Zeit, die letzten Jahre zum Jahrzehnt der (amourösen) Chanson-Freundschaft auszurufen. Selbstverständlich dem der preußischen Femme fatale und des Pariser Spatzen – Marlene Dietrich und Édith Piaf. Wie eng ihre Beziehung tatsächlich war, daran scheiden sich die Gemüter. Das ist aber auch einerlei, schließlich gilt, was für ein Stoff! Und der wird am Besten auf der Bühne zelebriert – mit der Uraufführung von VERGISS NIE, DASS ICH DICH LIEBE am OFFtheater darf auch Salzburg vom appetitlichen Skandal-Küchlein naschen.
Alternative Fakten und das Leben
Édith Piaf und Marlene Dietrich in einem Stück? Das alleine verspricht bereits ein großes Stoff-Konvolut. Trotzdem reduziert Alex Linse (Regie & Bühne) seine Inszenierung auf ein kompaktes Maß mit erstaunlicher Stringenz und der einen oder anderen szenischen Überraschung (Textfassung: Ensemble, Kostüm & Maske: Andrea Linse, Licht und Ton: Jonas Meyer-Wegener).
Jetzt ist das mit dem Wahrheitsgehalt bei den turbulenten Lebensläufen der beiden Chansonnetten aber so eine Sache. Was ist Realität, was Fiktion? Immerhin war nicht nur Édith Piaf dafür bekannt, ihre eigene Vergangenheit je nach Lust und Laune zu ändern, auch Marlene Dietrich rückte ihr Leben gerne ins rechte Licht. VERGISS NIE, DASS ICH DICH LIEBE schlägt vielleicht gerade deshalb – und aufgrund der undurchsichtigen Faktenlage – einen Mittelweg ein, der Realität und Fiktion elegant verbindet. Das Ergebnis darf sich sehen lassen und speist sich aus neu arrangierten Zitaten und lebendigen Dialogen. Die spannen eine entspannte Brücke in die Moderne, um dann doch wieder altbekannte Laster und Faibles der Grandes Dames des Chansons einzubauen.
Divergente Charakterzeichnungen
In die Rolle der preußisch kühlen Schönheit schlüpft Christiane Warnecke mit Wasserwelle und breitem Akzent. Auch wenn die Frisur im Laufe des Stücks ein Eigenleben entwickelt, die Attitüde als rauchige Femme fatale mit Hemd, Hose und laszivem Augenaufschlag sitzt. Als ihr Pendant wird Anja Clementi zum Inbegriff des Pariser Spatzen, inklusive prominenter Chanson-Pose und losem Mundwerk. Piaf und Dietrich, das ist wie Feuer und Wasser; während Marlene Dietrich aus gutbürgerlichem Elternhaus stammte, wuchs Édith Piaf teilweise auf der Straße auf. Umstände, die die Produktion hervorragend einfängt und die Schauspielerinnen subtil aufgreifen.
Der Einstieg von VERGISS NIE, DASS ICH DICH LIEBE ähnelt dem der musikalischen Lesung und szenischen Revue („Spatz und Engel“), auch wenn die Toilette für das erste Aufeinandertreffen mit einer Künstlergarderobe ersetzt wurde. Dort schmollt die Piaf nach einem misslungenen Auftritt mit viel Alkohol und derbem Vokabular, als eine spöttisch-tröstende Stimme aus der Dunkelheit erklingt, „wissen Sie nicht, dass das amerikanische Publikum zu 50 Prozent aus Kindern besteht? Den restlichen 50 Prozent wurde das Gehirn von diesen abscheulichen Klimaanlagen vereist.“ Marlene Dietrich! Das fällt nach kurzer Verwechslung auch der schlagfertigen Édith Piaf auf, die plötzlich erstaunlich sprachlos ist – und damit für einen humorigen Einstand sorgt, den das überschaubare Ensemble munter ausbaut.
Gleichzeitig ist die charmante Inszenierung eine musikalische Hommage an die beiden Chansonnetten. Mit großer Leidenschaft intoniert Anja Clementi „Non, je ne regrette rien“ und mit übermütiger Spielfreude „Milord“, in das Christiane Warnecke lebenslustig einstimmt, bevor sie eindrucksvoll ein melancholisch-schönes „Paff der Zauberdrachen“ zum Besten gibt. Keine Frage, bei diesem Chanson-Abend wurde nichts dem Zufall überlassen und viel Wert auf die kleinen Details gelegt. Da scheint es wenig verwunderlich, dass beide Sängerinnen am Ende gemeinsam „La Vie en Rose“ anstimmen – das Chanson, das Édith Piaf einst ihrer Freundin Marlene Dietrich ’schenkte‘.
Sympathisches Déjà-vu
Dreh- und Angelpunkte der Produktion sind die Mini-Bühne mit eigenem Klavierspieler (Milan Stojkovic, der alle noch so kleinen Extrawünsche musikalisch realisiert und bei Bedarf auch ins Spiel einspringt) und das Bett, dieser heimliche Star des Abends. Wer jetzt denkt „klar, Bett, Liebesbeziehung und so“ und dabei vielleicht noch anzüglich grinst, der*die irrt! Oder zumindest irrt fast, denn so ganz ohne amouröse Untertöne und entsprechende Anzüglichkeiten kommt kein Édith Piaf und Marlene Dietrich-Abend zustanden. Tatsächlich ist das höher drapierte Doppelbett ein prominentes Requisit, schließlich verbrachte die preußische Femme fatale nach ihrem letzten Film („Schöner Gigolo, Armer Gigolo“, 1978) darin die Zeit bis zu ihrem Tod – über 14 Jahre. Das prädestiniert die späte Marlene Dietrich also nicht nur zur „extrem Coucherin“, sondern stilisiert sie auch zu einem emergenten ‚Smombie‘, wenngleich auch freilich ohne Smartphone. Stattdessen muss sie zum analogen Anschluss greifen und zieht die sozialen Fäden von ihrer Wählscheibe aus. Treffen wollte Marlene Dietrich zu dieser Zeit übrigens niemanden mehr, auch das thematisiert VERGISS NIE, DASS ICH DIE LIEBE und sorgt nach anfänglichem Wundern (warum sitzt da jetzt Édith Piaf am Bett und STRICKT?) für den perfekten Überraschungseffekt.
Zusätzlich flimmern immer wieder Bilder aus den Leben von Édith Piaf und Marlene Dietrich über eine kleine Leinwand. Eine Verdoppelung des Collagen-Charakters, den die Inszenierung im Untertitel trägt, und eine Reminiszenz an die berühmte Dokumentation von Maximilian Schell („Marlene“). Der wollte Marlene Dietrich in ihrer Bett-Phase filmen, musste dafür aber leider – das bedingte sich die Grande Dame des Chansons aus – auf eine Kamera verzichten. Woraufhin Schell das Interview mit (bewegtem) Bildmaterial unterlegte und einen ungeahnten Publikumserfolg schuf.
„Vergiss nie, dass ich dich liebe!“ – auf dem Sterbebett soll Édith Piaf ihrer Freundin einen Zettel mit diesen Worten zugesteckt haben. Der kleine Satz bildet den berührenden Abschluss der gleichnamigen Produktion, die vermutlich auch nicht so schnell in Vergessenheit gerät.
Fotonachweis: OFFtheater Salzburg
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