Italienische Shakespeare-Party
Andreas Gergen inszenierte für das Salzburger Landestheater Shakespeares Komödie VIEL LÄRM UM NICHTS und führt geistreich-eloquent den eigenen Titel ad absurdum: Viel Lärm um alles!
William Shakespeare war ein Meister seines Komödien-Faches. Das beherrschte er sogar so gut, dass es ihm zuerst ein volles Theaterhaus und dann ein adrettes Eigenheim bescherte – im 16. Jahrhundert. Chapeau! Shakespeares virtuoses Spiel mit den Rollenklischees amüsiert heute wie vor 402 Jahren. Einer, der sich ebenfalls vorzüglich auf diese und andere Kunstgriffe versteht, ist Andreas Gergen. Einst inszenierte er am Salzburger Landestheater KISS ME, KATE – das, wir ahnen es – auf Shakespeares DER WIDERSPENSTIGEN ZÄHMUNG basiert. Jetzt ist Andreas Gergen wieder auf einen Komödien-Klassiker aus der Feder des berühmten Theatermachers gekommen und strapaziert mit seiner modernen Interpretation von VIEL LÄRM UM NICHTS die Lachmuskeln.
In aller Plot-Kürze
Der junge Edelmann Claudio verliebt sich in Gouverneur Leonatos Tochter Hero und lässt seinen Freund, den Prinzen Don Pedro, für ihn vorsprechen. Hero akzeptiert freudig. Benedikt wirbt um niemanden, sondern liefert sich lieber scharfzüngige Duelle mit der wortgewandten Beatrice. Opfer von Intrigen werden beide Paare. Don Juan schmiedet garstige Pläne gegen die Verbindung der frisch Verliebten, während Benedikts Freunde versuchen, den überzeugten Junggesellen mit der stolzen Schönheit zu verkuppeln.
Theatrales Déjà-vu
Für VIEL LÄRM UM NICHTS kreierte Stefan Mayer (Bühne) ein stattliches Bühnenbild, das mit prominentem Brunnen und idyllischem Meeresblick die italienische Lebensfreude und ein kleines Hafenstädtchen auferstehen lässt. Das würde eigentlich schon als perfekter Rahmen für ein Verwirr-Spiel à la Shakespeare ausreichen. Da geht noch mehr, dachten sich aber wohl die Kreativen, und ergänzten das südliche Flair mit verschiebbaren Häuserfronten, die nicht nur kleine Einblicke ins Innerste der Intrigen ermöglichen, sondern auch auf humorige Randszenen.
Gerne liegt bei VIEL LÄRM UM NICHTS der Fokus auf dem zänkischen Pärchen und seinen verbalen Schlagabtausch. Tatsächlich brillieren Sascha Oskar Weis (Benedikt) und Sophie Berner (Beatrice) als geistreiche Streithähne. Das liegt vor allem an dieser großartigen Leichtigkeit, mit der sie den Sarkasmus und die Ironie ihrer Dialoge servieren – oder mit Superman-Shirt beherzt in den Neptun-Brunnen hechten, der tatsächlich Wasser führt und dem Sascha Oskar Weis im Anschluss tropfnass entsteigt. Gleichzeitig bescheren sie ein Déjà-vu – KISS ME, KATE lässt grüßen. Sascha Oskar Weis ist zurück in seiner Paraderolle als scharfzüngiger Junggeselle und Sophie Berner war nicht nur selbst schon einmal die Kate, sondern hat auch verblüffende Ähnlichkeiten mit ihrer Salzburger Vorgängerin. Dem Spaß tut das keinen Abbruch. Im Gegenteil, Petruchio und Katharina leben – das ist schön, schließlich streitet sich kein Pärchen geistreicher. Das eigentlich Wunderbare an Andreas Gergens VIEL LÄRM UM NICHTS-Inszenierung ist aber, dass hier nicht nur die unkonventionellen Streithähne im Fokus stehen. Mit Ende des ersten Akts gehört die Bühne (fast) zur Gänze dem Drama um Claudio (Hanno Waldner – vermutlich heiser, aber dafür erstaunlich präsent und vital) und Hero (Nikola Rudle als die personifizierte Unschuld – mit viel mädchenhaftem Elan). Ein gelungenes Zurück zum Komödien-Ursprung und eine divergente Bereicherung.
Italienische Schlagerparty
Andreas Gergen und Marc Seitz (musikalische Einstudierung, Arrangements) haben sich für die musikalische Umrahmung so einiges einfallen lassen. Wer das Haus ohne Felicità-Ohrwurm verlässt, ist irgendwie selber Schuld (oder hatte Glück – tatsächlich ist es unmöglich, den Saal ohne die Melodie zu verlassen). Der Schlager aus den frühen Achtzigern ist das inoffizielle Motto der Produktion und wird vom musikalischen Duo, das manchmal auch ein Solo ist, oder zum Quartett anschwillt, gnadenlos durchexerziert (Cello: Tijana Pichler, Gitarre: Georg Clementi, Saxophon: Axel Meinhardt, Posaune: David Zieglmaier, musikalische Einspielungen: Tom Reif). Dazwischen ergänzen „Ti Amo“ und wie die italienischen Schlager-Kalauer nicht alle heißen den musikalischen Reigen. Denn das hier Musik ganz groß geschrieben wird, ist schnell klar. Besonderes Highlight neben der Al Bano & Romina Power-Dauerbeschallung ist dann aber Georg Clementis und Britta Bayers Interpretation von „Zwei kleine Italiener“ – die an Komik schwer zu überbieten scheint. Mit kleinem, nostalgischem Polizia-Dreiräder kracht das Duo Infernale in regelmäßigen Abständen in Hauswände. Gewöhnungsbedürftig ist nicht nur sein wunderbar verdrehter Gang, sondern auch die gleichermaßen irritierende Aphorismen-Legasthenie, an der Georg Clementis Gerichtsdiener selbstbewusst laboriert, während Britta Bayer humorig-tollpatschig die Waffe schwingt. Durchtrieben-abgründig gibt sich hingegen Tim Oberließen als Don Juan. Maliziös erfüllt er das Mafia-Klischee, das unter anderem als musikalische Einspielung des Paten („Sicilian Pastorale“) anklingt.
Sizilianische Nachrichten
Passend zur „Sicilian Pastorale“ müssen die eben im edlen schwarzen Anzug und mit Fliegerbrille von der Schlacht Heimgekehrten ihre Waffen am Stadteingang abgeben. Eine Szene, die genau die richtige Dosierung an Überspitzung aufweist, ohne ins Lächerliche abzudriften. Diesem Kurs und seinem feinen Sinn für ironischen Humor hält Andreas Gergens Regiearbeit konsequent die Treue und drückt dem Shakespeare-Klassiker einen eigenen Siegel auf. Dazu gehört auch der Bruch mit den Ebenen. Als Caudio (Hanno Waldner) herzergreifend „Ciao Bella!“ zum Abschied ins Mikrofon schmettert und sich gar nicht mehr von der Technik trennen möchte, greift Mafia-Boss aka Prinz Don Pedro (Marco Dott) beherzt ein und trägt das Gerät des Anstoßes pikiert zurück auf die Bühne. Selbstverständlich ist Don Pedro kein Pate, auch wenn die Anspielungen erdrückend und sehr humorig sind. Zudem geht Marco Dott in seiner Rolle förmlich auf und scheint das Leben als Clan-Oberhaupt zu genießen. Und trotzdem sind bei allen kulturgeschichtlichen Referenzen und zeitgenössischen Kostümen (Kostüme: Regina Schill) auch noch diese anderen Anspielungen präsent, die zurück ins 16. Jahrhundert und auf die Wurzeln von VIEL LÄRM UM NICHTS weisen. Allen voran Teile der sprachliche Duktus.
Moderner Shakespeare
Auf Komödien verstehen sich nicht nur Shakespeare und seine Vorläufer, auch Andreas Gergen beherrscht das humorige Fach. Dabei sind es die kleinen, aber sehr feinen Details, die seiner Inszenierung den letzten Schliff verleihen. VIEL LÄRM UM NICHTS? Im Gegenteil – VIEL LÄRM UM ALLES ist das Motto der turbulenten, ausdrucksstarken und temperamentvollen Inszenierung. Da scheint es wenig verwunderlich, dass Shakespeare auch 402 Jahre nach seinem Ableben noch wunderbar funktioniert. Zumindest dann, wenn er in so herrlich adaptierter Variante wie am Salzburger Landestheater auftritt, die sich trotz aller Moderne immer noch dem Geist des Originals verpflichtet fühlt.
Fotonachweis: Anna-Maria Löffelberger
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