Mörder gesucht
Über Risiken und Nebenwirkungen informiert Ihr Psychoanalytiker: Mit ZWEI FRAUEN UND EINE LEICHE premiert eine temperamentvolle Krimikomödie am Kleinen Theater, die Laune macht.
Eine blonde Frau tanzt lasziv um eine Leiche. Bei dem Toten handelt es sich um ihren Psychoanalytiker und Liebhaber. Seine Frau herrscht sie an, endlich mit dem Gezerre an seinem leblosen Körper aufzuhören. Bei diesen ersten Bildern aus Gerda Gratzers Inszenierung ZWEI FRAUEN UND EINE LEICHE kann es sich nur um einen Thriller oder eine Krimi-Komödie handeln. Letzteres ist der Fall, auch wenn das verwundert. Schließlich lieferte den Stoff Patrícia Melo. Die brasilianische Schriftstellerin wird als Grande Dame des Kriminalgenres gefeiert und ist bekannt, für ihre schwere Lektüre-Kost gerne auch Jahre der Recherche in Kauf zu nehmen. Wie viel Zeit sie in ZWEI FRAUEN UND EINE LEICHE investierte, ist nicht bekannt, wohl aber, dass die bitterböse Komödie vor ironisch-zeitgenössischen Seitenhieben strotzt.
In aller Plot-Kürze
Die zwei Frauen, die im ersten Bild über die Leiche grübeln, sind Beatriz und Ana. Die eine ist seine Frau und gestresst, die andere seine Freundin und tablettensüchtig. Ralf nützt das alles nichts mehr, denn der ist tot. Aber wer hat ihn jetzt eigentlich umgebracht? Das Karussell der bitterbösen Irrungen und Wirrungen nimmt seinen Lauf und kennt kein Erbarmen.
Brasilianisches Temperament
ZWEI FRAUEN UND EINE LEICHE zäumt das Theater-Pferd mit ordentlich brasilianischem Temperament von hinten auf. Gerda Gratzers Inszenierung kreierte dafür ein zweckmäßiges Setting aus Paravents und minimalistischen Accessoires. Die evozieren trotzt ihres puristischen Charakters eine völlig neue Welt. Es ist das Brasilien von Patrícia Melo, das im Ansatz entsteht, und das sie sozialkritisch mit ironisch-spritzigen Dialogen demaskiert. Wenn sich Beatriz versehentlich nervös mit ihrer Pistole kämmt, verwundert das genauso wenig wie die Waffe in der Hand von Ana. Das war es dann aber auch schon mit den Provenienz-Parallelen. Im Prinzip könnte die bitterböse Krimi-Komödie überall stattfinden – genau das macht sie auch so breitenwirksam und sorgt für heiteres Lachen zwischen den Reihen.
Wechselbad der Gefühle
Die „irrwitzige Kriminalkomödie“, wie die Produktion im Untertitel lautet, setzt kurz nach dem Mord an Ralf an und rekonstruiert peu à peu die Umstände in konzisen Rückblenden. Das geschieht ganz ohne investigative Kriminalbeamte und motivierte Detektive; es genügt, die zwei Kontrahentinnen auf der Bühne aufeinander loszulassen, und die Temperamente kollidieren im Minutentakt. Judith Brandstätter wird zur hysterischen Ana, die nicht nur tablettensüchtig ist, sondern auch eine ungesunde Freundschaft mit Beatriz pflegt. Obendrein laboriert die blonde Frohnatur an chronischen Hustenanfällen, die nahtlos auf das Publikum überspringen. (Eine amüsante Komponente: Teile des Publikums fühlen sich unterbewusst offenbar hust-inspiriert und oszillieren zum Husten-Chor). Gleichzeitig wandelt sie sich von der scheinbar harmlosen Fremden zur berechnenden Femme fatale – oder etwa doch nicht? Ab einem gewissen Zeitpunkt werden die Figurenzeichnungen bewusst schemenhaft und fragil gehalten. Prognosen über etwaige Täterinnen scheinen unmöglich, da sich die Indizienlage von Szene zu Szene sprunghaft verändert und die Schauspielerinnen moralische Flexibilität beweisen. Mit der professionellen Spurenverschleierung ist aber auch Beatriz beschäftigt. Gaby Schall versteht es, mit ihrem Charakter bewusst in die Irre zu führen. Selbstbewusst und desillusioniert feuert Beatriz ironische Pfeile in Richtung befreundete Kontrahentin und kennt kein Erbarmen, was Schuldzuweisungen anbelangt.
Die Dialoge der beiden Protagonistinnen sind heitere, morbide Geplänkel, die vom eigentlichen Problem ablenken. Wer ist denn jetzt die Mörderin? Das sei an dieser Stelle natürlich nicht verraten. Wohl aber, dass Gerda Gratzers Inszenierung ZWEI FRAUEN UND EINE LEICHE nur ein vordergründig heiteres Spiel ist, das die sozialkritische Komponente von Patrícia Melos Original in Ehren hält. Die greift nicht nur bei Beatriz‘ ungesunder Smartphone-Abhängigkeit, sondern auch beim gemeinsamen Diätwahn. Genau daraus speist sich auch der Komödien-Charakter des zeitgenössischen Krimi-Spektakels. Der heitere Wiedererkennungswert und die vorgeführte Emotionen desmaskieren die Protagonistinnen als verletzliche Wesen – und die sind dem oder der anderen ähnlicher, als lieb sein kann.
Fotonachweis: Michael Herzog (Sujet) und Kilian Kovacs (im Beitrag)
by
Wauw!!! Vielen Dank für diese wunderbare Kritik!!!
Gerne! Ich danke für einen unterhaltsamen Abend. 🙂