Potpourri des Menschseins
WIR LESEN UNS DIE MÜNDER WUND: Die Vorjahres-Gewinnerin des Salzburger Literaturwettbewerbs Luka Leben legte mit ihrem Debüt „Unter der Zunge“ eine poetisch-stimmige Punktlandung hin.
Es gibt da so ein Gerücht, das sich hartnäckig hält. „Fast alle Lehrer,“ so lautet der studentische Volksmund, „haben ein unveröffentlichtes Manuskript in der Schublade“. Ach ja? Nachprüfen lässt sich das freilich schwer, vermutlich trifft es aber auch gar nicht zu. Oder etwa doch? Zumindest eines dieser Schriftstücke hat es kürzlich ’nach draußen‘ geschafft. Der Weg war allerdings kein leichter, musste sich Autorin Luka Leben schließlich in einem literarischen Wettbewerb mit anderen begabten Anwärter*innen messen.
WIR LESEN UNS DIE MÜNDER WUND – seit 2009 stellen sich junge Literaten*innen dem Salzburger Autoren*innen-Wettbewerb, der jährlich in Kooperation von MARK.freizeit.kultur, Literaturhaus Salzburg und erostepost stattfindet. Als Preis winkt die Publikation des eigenen Schaffens. 2016 setzte sich Luka Leben gegen ihre Co-Leser*innen durch und präsentierte kürzlich das kreative Resultat: UNTER DER ZUNGE.
Nahtlos scheint der Titel des Debüts an die ‚wundgelesenen Münder‘ anzuknüpfen. Es sind auf den ersten Blick erstaunlich profane Themen, die der lehrenden Autorin ‚unter der Zunge‘ brannten. Allerdings – das wissen wir spätestens seit Jane Austen – führen erste Eindrücke leicht in die Irre. Deshalb dauert es nicht lange und entwickeln die Texte von Luka Leben ein wunderbares Eigenleben. Sprachbegabt und wortgewandt zieht die Autorin literarisch in den Bann – ihre Textsammlung UNTER DER ZUNGE ist geprägt von poetisch-präzisen Beobachtungen und Entwürfen im lyrischen Kostüm. Wobei meistens auf klare Ansagen verzichtet wird. Vielmehr verharren die unterschiedlichen Texte im Ambivalenten; ihre Faszination wird durch diesen Reiz des Unklaren weiter verstärkt.
Das literarische Konvolut setzt sich aus den verschiedensten Texttypen zusammen; die Autorin zeigt einen Hang zur Perfektion, nichts wird dem Zufall überlassen. Stattdessen sind die unterschiedlichen Texte bis ins kleinste Detail harmonisch durchkomponiert. Gerade dadurch entfalten die Kurzgeschichten und literarischen Einsprengsel eine wunderbare Eigendynamik.
UNTER DER ZUNGE entpuppt sich als abwechslungsreiches literarisches Programm mit Faible zum Mythos. Die Themen kreisen um Verfall, Freundschaft, Krise und Erwachen – ein Potpourri des Menschseins. Gleichzeitig erinnern sie an große Texte – zufällig oder nicht, der Reiz des Vergangenen wird aus junger Perspektive neu erschaffen. In „Winter, unter der Zunge“ sympathisiert der Ich-Erzähler mit einem eingelegten, toten Molluskenkrebs. In kafkaesker Manier scheint sich schließlich sogar der Onkel in das Tier zu verwandeln. Allerdings ist sie da wieder, diese spannende Ambiguität, die Dinge, die L. Leben nicht ausspricht, sondern nur zart andeutet und der Leser*innen-Imagination überlässt. Die „Schafsjagd“ kommt vielleicht auch nur deshalb so harmlos im idyllisch-ländlichen Kleid daher und läuft gleichzeitig zielstrebig auf eine Geschlechter-Transgression zu. Dass die just Janus trifft, dürfte bei der studierten Germanistin kein Zufall sein. Janus, der Gott allen Ursprungs, des Anfangs und des Endes, das Symbol für die Dualität von Leben und Tod oder eben Mann und Frau muss auch in der zeitgenössischen Literatur diese Grenze überschreiten. In „Auf Ikarus gesetzt“ werden die Motten zu übermütig – wie einst ihr mythologisches Vorbild wagen sie sich zu nahe an das Licht und verbrennen sich prompt ihre Flügeln.
Gleichzeitig wird UNTER DER ZUNGE von surrealistisch-fantastischen Einflüssen geprägt. Träume werden zu Wahrheiten und Erlebnisse zu Träumen, Geschichten in Geschichten zu Geschichten in Geschichten. Genau lassen sich Texte wie „Zum Geburtstag“ deshalb gar nicht fassen. Allerdings ist es diese epische Wendigkeit, die, neben der poetisch-lyrischen Sprache, den Reiz des literarischen Erstlings konstituiert.
Es verwundert übrigens an dieser Stelle längst nicht mehr, dass die Autorin auch zur Künstlerin wird. Deshalb illustrierte sie UNTER DER ZUNGE gleich selbst. Die Skizzen und Zeichnungen sind die verlängerten Gliedmaßen der Kurzgeschichten. Sie subsumieren das eben Erzählte und halten es figurativ fest; sie verankern es noch tiefer in den Köpfen der Rezipienten*innen oder spinnen den literarischen Faden künstlerisch fort.
Nicht alle Lehrer*innen haben unveröffentlichte Manuskripte in der Schublade. Zum Glück. Und manchmal ist es auch ein Glück, wenn diese Texte dann doch einen Weg an die Öffentlichkeit finden.
Leben, Luka: Unter der Zunge. Herausgegeben von MARK.Freizeit.Kultur in Kooperation mit mosaik, edition mosaik 2016, 108 Seiten, ISBN 978-3-9504466-1-6, 5,50 EUR (zzgl Versand auf Mosaikzeitschrift.at)
Fotonachweis: Luka Leben
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