TANZ UM DAS GOLDENE KLEID.
Hier ein bisschen Heidegger, dort ein bisschen Kant und Roland Barthes for Fashion-President: Mit DAS LICHT IM KASTEN inszenierte Johannes Ender eine bitterböse und wunderbar eloquente Komödie über die Mode.
Auf der Bühne in den Kammerspiele geht es rund. Philosophische Sentenzen werden ihrem altehrwürdigen Kontext entkoppelt und begeben sich im Sekundentakt als adrette Metaphern in den Dienst der flatterhaften Mode. Schuld daran ist Elfriede Jelinek. Mit ihrem Stück LICHT IM KASTEN bemüht die österreichische Schriftstellerin Platon, Schopenhauer & Co, während sie gleichzeitig die Modeindustrie verliebt, bitterböse und eloquent ad absurdum führt. Das Ergebnis ist ein fashion-affiner stream of consciousness und ein akuter Fall vestimentärer Logorrhö. Beides wird am Salzburger Landestheater eingefangen, poliert und in ansprechenden Häppchen dem Publikum serviert.
Leuchtender Sündenfall
Vögeln zwitschern, die Flöte beginnt, die Oboe stimmt ein und auch Violine, Violincello, Fagott und Horn sind nicht fern: Am Anfang war Peer Gynts „Morgenstimmung“ – und die poetische Sprache des vestimentären Codes. In Johannes Enders Regiewerk spricht die Mode laut, sintflutartig und verwandelt sich in unzählige Metaphern. Als solche verzichtet die Regie eingangs auch auf Sprachlichkeit. In slapstickartiger Stummfilm-Manier erwachen die ersten Menschen in weißer Walle-Pracht – ein bisschen Ministrant, ein bisschen Nachthemd – zum Leben und sind sich ihrer stofflichen ‚Nacktheit‘ nicht bewusst. Stattdessen hüpfen sie strahlend und fröhlich, aaah-end und oooh-end durch das Paradies. Äpfel werden geherzt und geteilt, dann kommt der Sündenfall. Die Menschen entdecken, dass sie sich mit Mode voneinander unterscheiden und selbst optimieren können. Die Stimmung und die Sprech-Damme brechen: Der Catwalk und die Logorrhö halten bildstark Einzug.
Fast Fashion-Eclipse
DAS BILD IM KASTEN setzt in Salzburg auf bewegte und flimmernde Bilder, die ein homogenes Ganzes bilden. Gleichzeitig stürzen nicht nur Jelineks Philosophen vom Sockel, sondern gleich die gesamte Mode mit ihnen. Dafür schlüpfen die Schauspieler*innen in unzählige Rollen, die passenderweise genauso rasant verschlissen werden wie die hämisch angeprangerte Billigware. Sie dienen als Projektionsflächen für die unterschiedlichsten modischen Auswüchse von Fast bis Slow Fashion. Als Mode-Königin stolziert Nikola Rudle umher und verteilt oder nimmt gönnerhaft Gefälligkeiten – selbstverständlich in Form von Mode, langsamer Mode. Eine ungeduldig ausgestreckte Hand und ein gestrenger Blick genügen, schon geben die hart geknechteten Fashion-Jünger ihre fürstlichen Mäntel zähneknirschend wieder ab. Auch die moralisierende Umweltaktivistin beherrscht Nikola Rudle und ermahnt empathisch erst sachte, dann fordernd Nachhaltigkeit. Das böse N-Wort. Großes Erschrecken auf der Bühne, schließlich gilt, „alles muss raus, nur Sie müssen dort rein!“.
Zeitgeist im Kasten
Philosophen und Klassiker stehen im Dienst der Mode. Hamlets „Sein oder Nichtsein“ rezitiert humorigerweise Schauspieler Gregor Schulz, der Hamlet einer anderen Produktion. Das war hier aber ohnehin „nicht die Frage“. Stattdessen verausgabt sich der Mime zwischen den Publikumsreihen, um der Mode gerecht zu werden. Leidenschaftlich schwingt Schulz seine Reden und wird zum trendigen Springteufel, der unversehens aus dem online bestellten Paket hervorschnellt. DAS LICHT IM KASTEN fängt den Zeitgeist ein und führt in ad absurdum. Johannes Ender treibt das ironische Spiel auf die kritische Spitze. Gerade noch gedacht, ist das Paket bereits eingetroffen. Gefällt nicht? Egal, kann ja retourniert werden. Gregor Schulz kriecht zurück in den Karton, um dann doch wieder aus der nächsten Klappe zu sprechen. Die Ausstattung (Bühne und Kostüme: Hannah Landes) ist so geistreich und humorig wie klug und kritisch.
DAS LICHT IM KASTEN: Repräsentationszwang
Die Modeindustrie bedient alle Geldbörsen – der Erfolg der verstimentären Selbstoptimierung, Billigware oder doch Highend, hängt einzig von ihrem Fassungsvermögen ab. Die düsteren Schattenseiten werden quietsch-bunt und schrill-fröhlich inszeniert und entfalten gerade dadurch ihre Intensität. Die Fabrikarbeiter*innen arbeiten emsig und devot, während ein Zampano im Glitzermantel und mit Zylinder (Tim Oberließen) bereits gefährlich drohend den Zauberstab schwingt. Als Hohepriester huldigt Oberließen mindestens genauso effektvoll dem neuen Gott. Der baumelt als Rock vom Bühnenhimmel, während sich das Ensemble andächtig darum schart. Britta Bayers Figur greift zur Selbstgeißelung: schöner, schlanker, mehr Diäten – zack, der Schlag mit dem roten Shirt sitzt. Gregor Schulz faltet währenddessen entrückt die Hände und auch Walter Sachers scheint schon ganz beseelt.
Poetisch, poetischer, Mode
Collagenhaft reihen sich die einzelnen Szenen aneinander und bilden ein großes, buntes und bitterböses Bildnis unserer Zeit. Selfie-Wahn und Narzissmus werden liebevoll gehätschelt, Schönheitssucht und der Wunsch nach ewiger Jugend heiter-melancholisch persifliert und Slow Fashion auf die Spitze getrieben. Tatsächlich geizt Johannes Enders LICHT IM KASTEN nicht mit starken Szenen und pointiert appliziertem Schauspiel. Die Bühne wandelt sich binnen kurzer Zeit vom puristischen Paradies zur ausgewachsenen Primark-Hölle. Kleiderberge überall. Dann erscheint Walter Sachers als transzendenter Modezar. Ein bisschen Moshammer, ein bisschen Lagerfeld – und sehr viel scharfsinniger Abgesang, der als Krönung im Kleidersack endet. Besser hätte es auch Roland Barthes nicht formulieren können und der hat Kleidung bekanntlich als ausgezeichnetes poetisches Objekt bezeichnet.
Fotonachweis: Anna-Maria Löffelberger
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