„Der neue Menoza“: Erstaufführung in den Salzburger Kammerspielen
Der späte aber sehr gelungene Herbst eines Stürmers und Drängers: Dörte Lyssewskis Regiedebüt „Der neue Menoza“ begeistert in den Salzburger Kammerspielen.
Gefühle, Gefühle, Gefühle. Von wegen Männer könnten nicht darüber reden. Nachdem Goethe erst einmal den Anstoß gegeben hatte, gab es bereits 1765 kein Halten mehr. Mann ertrank förmlich darin. Je oller, desto doller. Die Literatur der Empfindsamkeit ward geboren. Und das wiederum scheint sehr zeitgenössisch; schließlich dreht sich auch bei der aktuellen Wokeness-Welle alles um Befindlichkeiten – vornehmlich den eigenen und den sehr, sehr schnell gekränkten. Gleichzeitig ist es die Stunde, in der Jakob Lenz‘ „Der neue Menoza“ ein Revival erleben darf. Endlich. Zur Zeit seiner Uraufführung wurde es zuerst verkannt, dann vergessen, bis das Stück 1982 seinen Weg an die Burg fand. Und jetzt eben nach Salzburg. Das scheint mutig. Schließlich dauert Lenz Komödie satte 3 Stunden. Was eine Dame im Foyer noch vor Anfang zum erschrockenen „oh mein Gott, so lange!“ Ausruf verleitete. Achtung, Spoiler: Selten waren 3 Stunden so kurzweilig.
In aller Plot-Kürze
Der Seidenraupenzüchter Herr von Biederling bringt von seinen Reisen einen echten Prinzen mit nach Hause. Aber nicht irgendeinen, sondern einen cumbanischen und damit einen edlen Wilden, dem er die Sitten und Gebräuche Europas näher bringen will. Von denen ist der Prinz aber so gar nicht angetan. Au contraire redet er sich in Rage ob der Amoral und der Verkommenheit der scheinbar so zivilisierten Gesellschaft. Ganz anders sei das bei seinem Stamm in Cumba. Zugleich verliebt er sich in die Tochter des Hauses, Wilhelmine, die aber auch von einem verhaltensauffälligen Grafen gefreit wird. Und was hat es eigentlich mit Donna Diana oder der Nachricht auf sich, die Herr Zopf zurück aus Rom bringt?
Drama, wem Drama gebührt
Auch wenn „Der neue Menoza“ über die obligatorischen 5 Akte verfügt und bekannte Themen behandelt, die den Stürmern und Drängern lieb und teuer waren; auch wenn er Rosseau einbaute und den edlen Wilden auftreten lässt, zugleich ist dieser Menoza eben auch ein ganz atypischer Vertreter seiner Strömung – und das sehr gelungene Debüt von Dörte Lyssewski. Die Schauspielerin führte erstmals Regie und zeigt, wie Komödie klug und pointiert in die Moderne überführt werden kann. Die entpuppt sich bereits aufgrund ihres Hangs zur 24-Stunden-Gefühlsanalyse und Befindlichkeitswahn als perfekter Gastgeber. Wobei das Augenmerk weniger auf der Bühne liegt, die Guckkastencharakter bietet, zugleich aber monochrom getäfelt mit verschiedenen Lichtmotiven punktet. Je nachdem, welche Stimmung herrscht, wird die Beleuchtung mit akustischer Untermalung akzentuiert (Eva Musil). Drama, wem Drama gebührt – und übrigens auch sehr passend, schließlich ist Lenz‘ Stück nicht auf die Beschreibung eines realen Raums aus, sondern auf eines imaginierten.
Elegantes Sturm und Drang Revival: „Der neue Menoza“
Sehr gelungen der Kontrast zwischen gebundener Sprache und moderner Klamotte. Da schwingt der Seidenraupenzüchter Herr von Biederling (Axel Meinhardt) melodisch heitere Sätze, während er im Anzug über die Bühne eilt und fröhlich über Frauen im allgemeinen, und die seine im speziellen, sinniert. Oder Graf Camäleon (Marco Dott), wie viele hier mit sprechendem Namen, der der Tochter des Hauses (unschuldig naiv und später sehr verzweifelt Patrizia Unger) im eleganten Business Outfit schöne Augen macht, um sie gleich darauf in alter Fasson zu bedrängen. Aber zum Glück ist da ja noch der erstaunlich zivilisierte Fremde Prinz Tandi (Skye MacDonald), der Staunen lässt. Schließlich hatte also schon Lenz im 18. Jahrhundert erkannt, dass die wirklich Wilden im eigenen Land sitzen. Eine gelungene Referenz an die Moderne, vor allem dann, wenn Prinz Tandi die Grenzen dicht machen und alle Europäer in Quarantäne stecken möchte.
Lenz‘ fleischgewordenes Püppelspiel
Lenz ließ seinen Figuren für den „Neuen Menoza“ ganz eigene Redeweisen angedeihen. Vielleicht setzt Prinz Tandi deshalb einige ausgewählte Male zu hysterischem Lachen oder verstörendem Bocken an. Vor allem Ersteres geht unter die Haut und verleiht dem Charakter eine pathologische Note. Die wird nur von Donna Diana übertrumpft. Judith Mahlers Interpretation der Figur ist herrlich dissoziativ, ein akuter Fall von Mrs. Jekyll und Dr. Hyde. Dem verleiht die Schauspielerin großartig empathisch und sehr konsequent Ausdruck, wenn sie Jagd auf den Grafen macht. Stürmerische und drängerische Götterpatin verpflichtet. Musikalisch wird es bei Abwesenheit durch Sprache oder bei sehr kurzen, aber prägnanten Sätzen.
Christopher Wieschke wechselt zwischen dusseligem, unglücksbringendem Edelmann und Bürgermeister, der im Nachspiel mit Zierau (Aaron Röll) seinen großen Auftritt hat. Eigentlich ist Zierau ein unbedeutender Charakter, der eingangs mit Tandi über Wissenschaft diskutiert. Im Nachspiel erklärt er dem Vater, dass er sich nicht am „Püppelspiel“ erfreuen dürfe, ja, könne, weil es die drei Einheiten von Aristoteles nicht berücksichtige und auf Illusion verzichte. Der Vater ist erzürnt. Mit diesem scheinbar unzusammenhängenden Szene auf den letzten paar Komödien-Metern spiegelt Lenz gleich keck den ganzen Menoza. Denn auch hier hängen die Figuren wie Puppen an Fäden. Allerdings an absurden und grotesken, die er zugleich kunstvoll verwoben hat und für die er die Handlung nicht chronologisch, sondern auch parallel anordnet. Dörte Lyssewskis Regiearbeit verstärkt diesen Aspekt und perfektionierte damit den runden Abgang einer sehr gelungenen Inszenierung.
Fotonachweis: Tobias Witzgall
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