Die Brüder Löwenherz – Astrid Lindgren

Auf ins Abenteuer!

Bällebad war gestern: Oliver Wronka inszenierte DIE BRÜDER LÖWENHERZ als fantastisches Abenteuer mit Nostalgie, Charme und starken Bildern an den Salzburger Kammerspielen. Absolut sehenswert!

Große Brüder sind (meistens) eine feine Sache. Schließlich fällt man niemandem lieber auf die Nerven, mit keinem prügelt es sich besser und wenn es hart auf hart kommt, werden sie sogar zu Verbündeten. Auf das Geschwister-Paar ist auch Astrid Lindgren gekommen, als sie über den Friedhof von Vimmerby schlenderte und die Inschrift „Hier ruhen die Brüder Fahlén, gestorben im zarten Alter 1860“ las. Die Zeilen berührten die schwedische Autorin, die sich ein Abenteuer für die Jungen ausdachte – das sorgte Anfang der Siebziger für einen kleinen Skandal.

In aller Plot-Kürze

Karl Löwe, von seinem großen Bruder Jonathan kurz Krümel genannt, ist todkrank und weiß das auch. Um ihn zu trösten, erzählt ihm Jonathan deshalb vom magischen Land Nangijala, wo sie sich nach dem Tod wiedersehen werden. Tatsächlich ist Krümel in Nangijala plötzlich gesund. Gemeinsam wohnen die Brüder in einem Haus im Kirschtal, wo von früh bis spät die Sonne scheint und überall Abenteuer warten. Wie es sich für kleine Helden gehört, heißen sie deshalb jetzt auch Löwenherz. Dann erfährt Karl, dass das Idyll bedroht wird. Tengil, der Tyrann aus dem benachbarten Heckenrosental, will das Kirschtal einnehmen. Höchste Zeit für Jonathan Löwenherz einzugreifen, und wo Jonathan ist, ist bekanntlich auch Karl nicht weit.

Hier bin ich Kind, hier darf ich’s sein.

Astrid Lindgren und ein Skandal? Den gab es damals tatsächlich, weil Karl mit dem großen Bruder im Schlepptau in den Tod springt. So die Lesart der Erwachsenen. Die Kleinen wussten es besser – und an ihnen orientierte sich auch die Regiearbeit von Oliver Wronka. Er inszenierte DIE BRÜDER LÖWENHERZ als magisch-faszinierendes Schauspiel, das sich märchenhaft und kindgerecht an das Thema Sterben herantastet. Die Basis dafür bildet das gelungene Bühnenbild von Nina Wronka (Ausstattung), das mit staunenswerten Extras und magischen Winkeln in den Bann zieht. Was so harmlos als windschiefes, schwedisches Wohnzimmer daherkommt, entpuppt sich als Kinderparadies fernab von Bällebad und Co: Lichterketten, wandelbare Videohintergründe und geheime Durchgänge – mit eigenem Echo! (wunderbar Gregor Schleuning, Gregor Schulz und Julienne Pfeil, die so gekonnt ihr eigenes Echo mimen, dass es tatsächlich in die Irre führt) – alles, was das Herz begehrt. Hier bin ich Kind, hier darf ich’s sein.

Das märchenhafte Bühnenbild wird durch das musikalische Arrangement intensiviert, selbstverständlich von den Schauspielern*in selbst produziert. Als folkloristische Schweden-Combo schlagen sie in die Eimerbass- (Gregor Schulz), Geigen- (Julienne Pfeil) und Gitarren-Saiten (Gregor Schleuning) und entführen mit magischen Bildern in ein fernes Reich. Wenn Eimerbass und Gitarre unter viel Getöse zu Pferden umfunktioniert werden, scheint das genauso schlüssig, wie die fliegenden Tauben aus Papier. Mit viel Liebe zum Detail lassen Karl (Gregor Schleuning) und Jonathan (Gregor Schulz) sachte ihre Flügel flattern oder raschelt die Mutter (Julienne Pfeil) mit der Zeitung und simuliert das Feuer. Geräusche werden lautmalerisch zum Besten gegeben, ohne dabei ins Kindliche abzudriften. Tatsächlich befeuert die magische Klangkulisse die Imagination und evoziert mit simplen Methoden fantastische Bilder – ideal als Entschleunigung für eine hochtechnisierte Gesellschaft. Dieser Eindruck wird durch die Kostüme – eine Mischung aus Do-it-yourself- und Öko-Charme mit Bobo-Chic und Berliner-Kreuzberg-Note – intensiviert, die aber auch diesen Hauch von Bullerbü ins 21. Jahrhundert tragen. Dass dann noch Marionetten-Mini-Mes (entzückende Detailtreue!) von Jonathan und Karl ins Spiel kommen, die von den Schauspielern mit viel Empathie geführt werden, ist das Tüpfelchen auf dem nostalgischen Inszenierungs-i.

Kostüm-Wechsel-Dich unter erschwerten Bedingungen

Als Jonathan Löwenherz ist Gregor Schulz der große Bruder, den sich vermutlich alle Kinder wünschen. Liebevoll umsorgt er den Jüngeren, ohne selbst das Kindliche zu verlieren. Gleichzeitig schlüpft Gregor Schulz nicht nur behänd in die Rolle des dümmlichen Antagonisten (Slapstick vom Feinsten, wenn Kader mit Hingabe in der Nase herumpult und das Ergebnis dann gleich mehrmals konsumiert), sondern auch durch zahlreiche Kostümwechsel. Die wären vielleicht weniger komplex, wenn Gregor Schulz davor nicht durch diverse Geheimgänge robben müsste. Chapeau für diese temporeiche Leistung! Eine der gelungensten Szenen ist mit Sicherheit die von Karls und Jonathans Aufenthalt im Heckenrosental. Dazu trägt auch Julienne Pfeil bei, die als schlauer Veder, Kader zur Räson ruft, oder sich humorig als Matthias „nicht in der Stimmung fühlt“, das Pferd von Karl an die feindlichen Truppen auszuliefern. Wenn Julienne Pfeil nicht gerade den ‚Soundtrack‘ zu DIE BRÜDER LÖWENHERZ liefert, wechselt die Schauspielerin aber auch Rollen und Kostüme auf der Bühne – und geht dabei so dezent zu Werke, dass die Umzüge bei aller Öffentlichkeit trotzdem im Verborgenen stattfinden. Magisch sind aber nicht nur diese Wechsel; auch die Verwandlung vom kränklichen Krümel in den selbstbewussten Karl darf sich sehen lassen. Zaudernd und ängstlich kauert Gregor Schleuning eingangs mit großen Augen hinter seiner Decke im Schrank (wieder so ein Requisit, dass man – oder Verfasserin – gerne einpacken und mitnehmen würde [also den Schrank natürlich!!]), ehe er sich langsam empor arbeitet. In Nangijala entdeckt Karl seine Lebensfreude und seinen Mut. Als er wieder zurück im heimischen Wohnzimmer auf dem Bett sitzt, ist es längst kein Kauern mehr. Mit funkelnden Augen und Stolz in der Stimme – Achtung, hier ist tapferes Schlucken für die Großen angesagt – verkündet er, dass er sich schon die Adresse von seinem Bruder in Nangijala notiert habe und es kaum erwarten könne, ihm zu folgen.

Szenische Entdröselung

Für DIE BRÜDER LÖWENHERZ schraubte Oliver Wronka an der Szenenfolge und arrangierte neu. Mit Erfolg, da Verwechslungen der Ebenen gleich im Vorfeld ausgeschlossen werden. Plötzlich ist klar, dass es sich beim Ausflug nach Nangijala nur um eine Traum-Sequenz handelt. Als Jonathan tatsächlich verunglückt, bleibt Karl noch Nangilima… oder im Fall von Salzburg eben das ‚tatsächliche‘ Nangijala. Astrid Lindgren hat übrigens nach der Veröffentlichung der „Brüder Löwenherz“ so viel Post von jungen Lesern bekommen, die wissen wollten, wie es weitergehe, dass sie einen Epilog in der Zeitung publizierte. Als die Brüder also nach Nangilima springen, stirbt Krümel in der Realität tatsächlich – und kann endlich dem großen Bruder folgen. Die beiden leben seither glücklich und zufrieden in Nangilima. Ein schöneres Happy End können sich zwei Abenteurer nicht wünschen.

 

Fotonachweis: Anna-Maria Löffelberger

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