Kick it like Beckham – Landestheater Salzburg

Fußball-Fieber am Landestheater.

Die Deutsche Erstaufführung KICK IT LIKE BECKHAM feierte auch ohne Holi-Pulver eine farbenfrohe und explosive Premiere am Salzburger Landestheater.

Das Ganze ist so ein perfekter Zufall, dass es eigentlich schon an Kooperation grenzen würde, wenn es nicht einfach nur ein perfekter Zufall wäre: Am Donnerstag schied Red Bull Salzburg im Halbfinale aus der Europa League aus, am Freitag feierte das Fußball-Musical KICK IT LIKE BECKHAM seine Deutsche Erstaufführung – ebenfalls in Salzburg. Hier enden dann aber auch bereits die Parallelen zwischen zeitgenössischem Sport-Abenteuer und musicalischer London-Reise. Schließlich handelt es sich beim Musical um eine weibliche Coming-of-Age-Story und feminines Empowermenet – richtig, eine Mädchenfußballmannschaft.

In aller Plot-Kürze

London Southall: Die indische Teenagerin Jess träumt vom Fußballspiel und kickt mit den Jungs im Park. Die gleichaltrige Jules beobachtet sie dabei und lädt sie ein, in ihrer Mannschaft – den Hounslow Harriers – mitzuspielen. Jess ist Feuer und Flamme, ihre Eltern weniger, deshalb erzählt sie ihnen erst gar nichts von ihrer neuen Freizeitbeschäftigung. Selbstverständlich fliegt das Versteckspiel auf und als sie dann auch noch von ihrem Vater in eindeutiger Zweisamkeit mit Joe, dem umschwärmten Fußball-Coach, ertappt wird, lautet die Konsequenz Hausarrest. Aber Jess ist kreativ im Erfinden neuer Ausreden und „bend“ – also „verbiegt“ bzw. „beugt“ – die Wahrheit wie Beckham seine Bälle. (Anm.: Das erklärt auch den Originaltitel: „Bend it like Beckham“).

Explosive Lebensfreude

Die Stille hat keine Chance, sich über den gerade noch murmelnden Pre-Vorstellungssaal zu senken. Noch ehe der Vorhang endgültig gefallen ist, stürmen bereits Lebensfreude und gute Laune in Form bunter indischer Kostüme die Bühne von KICK IT LIKE BECKHAM. Die Aufmerksamkeit des Publikums springt mit der fröhlichen Farbexplosion in Hab-Acht-Stellung; eine spannende Reaktion, die als sehr positives Vorzeichen gewertet werden darf.

Die Bühne hat sich in das Southall von London verwandelt. Christian Floeren (Bühne & Kostüme) und Sebastian Lang (Videodesign) setzen dafür auf fröhlichen Naturalismus und kreieren mit  Reklame-Schildern, Foto- und Videoimpressionen eine gelungene Reproduktion des indischen Viertels. Sofort wird deutlich, Bollywood steht nicht nur vor der Tür des Landestheaters, sondern hat es sich dort bereits sehr wohnlich eingerichtet. Das Ergebnis von Carl Philip von Maldeghems Regiearbeit macht Spaß, gute Laune und bringt jede Menge Glücksmomente: Wen kümmert es da, dass die Anzahl der indischen Darsteller*innen an einer Hand abzählbar ist. Im Gegenteil, die Provenienz wird zur Nebensache. Endlich haben die Profis aus den unterschiedlichsten Ländern die Chance, ihre Akzente ungeniert ausleben zu dürfen – KICK IT LIKE BECKHAM bietet für diese sprachliche Diversität die optimale Kulisse.

Leistung, Leistung, Leistung

Durch Stimmfarbe und Professionalität überzeugt in der Musicalproduktion am Dreisparten-Haus vor allem Jaqueline Bergrós Reinhold. Als selbstbewusste Anführerin stachelt sie Jess dazu an, endlich auch die eigenen Träume zu verwirklichen. Wunderbar gelungen die Schlagabtausche mit Jules‘ Mutter Paula – Anja Clementi gibt die extravagante Alleinerzieherin mit Hang zu wenig Stoff und herrlich überdrehter Schrillheit. Paulas gewisser Peinlichkeitsfaktor treibt die pubertierende Tochter an die Grenzen ihrer Toleranz, was zu einem gelungen verzweifelten, mütterlichen Solo führt. Dass Anja Clementi obendrein zu den stimmstärksten Darstellerinnen des Abends zählt, überrascht keinesfalls. Als externer „Joker“ wirkt sie immer wieder an Musical-Produktionen des Landestheaters mit – Dreisparten-Haus und so.

Schauspielerisch ist das Ensemble des Landestheaters zur Zeit gut aufgestellt. Bestes Beispiel dafür: Gregor Schulz als draufgängerischer Coach Joe, dem der Spaß an seiner Rolle sichtlich anzumerken ist. Egal ob exzessive Tanz-Bewegungen, machohafte Attitüden oder die dahinter versteckte Unsicherheit, der Schauspieler beherrscht die ganze Palette und bewegt sich elegant an der Grenze zu Slapstick. Einen großen Unterhaltungswert besitzt auch Christoph Wieschkes indischer Mr. Bhamra (Jess‘ Vater), der eifrig jeden Wunsch seiner Frau erfüllt und dabei temporeich-humorig über die Bühne wuselt. Hanno Waldner genießt seinen Tony sichtlich und vergeht nach einem unerwarteten Outing vor Schwärmerei für Joe. Jess selbst wird von Elisa Afie Agbaglah dargestellt, die genau die richtige Dosierung zwischen aufmüpfigem Teenager und gehorsamer indischer Tochter findet. Zu den Höhepunkten des temperamentvollen Musical-Abends zählt aber vor allem auch Janina Raspe als Jess‘ Schwester Pinky: Mit feingebügelter Haarpracht, Highheels und sehr kurzem Minirock singt sie ein Loblied auf sich selbst, immer von Teilen ihres Fanclubs hofiert (Anna Menslin, Sofia Payet, Paula Lischent, Monika Schweighofer). Da ist Pinkys Wutanfall, der sie selbst heulend von der Bühne kriechen lässt, das Tüpfelchen auf dem Drama-i.

Gleichzeitig punktet das Ensemble mit gelungenen Choreografien (Choreografie: Josef Vesely, Kate Watson). Das Mädchen-Fußballteam trippelt und schießt, was im Rahmen einer überschaubaren Bühne nur so möglich ist. Die Stimmen? Halten dem Tempo stand, während das integrierte Tor dem Orchester (musikalische Leitung: Wolfgang Götz) die Fußbälle vom Leib hält. Überhaupt beweist bereits das Bühnenbild von KICK IT LIKE BECKHAM viel Liebe zum Detail: Eine Mini-Flutlichtanlage und Aufnahmen vom Ballspiel der Mädchen, die gleichzeitig zum Musical-Geschehen über die große Leinwand flimmern, kreieren eine doppelte Ebene, die den Fußball-Charakter akzentuiert und vergrößert in das Publikum wirft.

Nummerischer Exkurs

Bleibt am Ende die Frage, was hat es eigentlich mit der Jess‘ Trikot-Nummer 10 auf sich? Im Original bezieht sich Jess‘ 7 auf Beckham, der selbst immer die 7 trug. Jules Nummer 9 stellt eine Hommage an Fußball-Star Mia Hamm dar. In Salzburg wechselt Jess allerdings sehr zügig ihre 7 gegen eine 10 ein. Liegt das daran, dass üblicherweise der stärkste Spieler des Teams die 10 erhält? Spinnt man den Faden weiter, müsste KICK IT LIKE BECKHAM dann aber auch konsequenterweise in „Schnibbel ihn wie Schaub“ (Louis Schaub, AT) umbenannt werden oder – wenn England die Treue gehalten werden soll – „Heber ihn wie Harry“ (Harry Kane, UK) beziehungsweise „Steilpass ihn wie Sergio“ (Sergio Agúero, UK) – alles Nationalspieler mit der Nummer 10. Schließlich planten die Amerikaner einst Ähnliches für die Premiere des Films in den USA: „Move it like Mia“ war der Vorschlag, den Regisseurin Gurinder Chadha zum Glück allerdings rigoros verweigerte.
Mit diesem kleinen Verwirrspiel ist die Nummern-Saga am Landestheater allerdings noch nicht ganz beendet. Der Krimi geht weiter: In den vorab erwähnten Fußball-Videos – die im Sportzentrum Rif gedreht wurden – trägt Jules plötzlich Becks 7 – ja, „darf“ das der Mia-Fan denn überhaupt?! … 😉

Dreisparten-Power

Mit KICK IT LIKE BECKHAM schnuppert das Salzburger Landestheater Bollywood-Luft. Die präsentiert Carl Philip von Maldeghem so bunt und lebensfroh, dass gute Laune im Anschluss garantiert sein dürfte. Bemerkenswert ist aber trotzdem vor allem die Leistung des Dreisparten-Hauses, dass ein Musical aus London stemmt und ihm dabei selbstbewusst seinen ganz eigenen Stempel aufzudrücken. Fehlt zur Musical-Krönung dann eigentlich nur noch die Umbenennung in „Schnibbel ihn wie Schaub“… 😉

 

 

Fotonachweis: Anna-Maria Löffelberger

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