Salzburger Strassentheater | Extrawurst

Extrawurst – Salzburger Kulturvereinigung

Ball, Satz und Pointe: Die Vorurteile fliegen in „Extrawurst“ tief, aber trotzdem treffsicher über das Netz des Salzburger Strassentheater.

Es gilt eine Tradition hochzuhalten. Pünktlich zum Festspielprogramm startet in Salzburg mit dem Strassentheater die liebgewonnene Gegeninitiative: Theater für alle. Und das soll, bitteschön, auch lustig sein, aber nicht länger als eine Stunde dauern. Schließlich absolviert das Team meistens zwei Vorstellungen pro Tag. Läuft. Beides. Also für die aktuelle Produktion „Extrawurst“, die sich rund um den STTC dreht, den Strassentheater Tennisclub.

In aller Plot-Kürze

Eigentlich ist es nur eine Formsache: Die Mitgliederversammlung eines Tennisclubs in der deutschen Provinz soll über die Anschaffung eines neuen Grills für die Vereinsfeiern abstimmen. Normalerweise kein Problem – gäbe es nicht den Vorschlag, auch einen eigenen Grill für das einzige türkische Mitglied des Clubs zu finanzieren. Denn gläubige Muslime dürfen ihre Grillwürste bekanntlich nicht auf einen Rost mit Schweinefleisch legen. Eine gut gemeinte Idee, die aber immense Diskussionen auslöst und den eigentlich friedlichen Verein vor eine Zerreißprobe stellt. Wie viele Rechte muss eine Mehrheit einer Minderheit einräumen? Muss man Religionen tolerieren, auch wenn man sie ablehnt? Gibt es auch am Grill eine deutsche Leitkultur? Und sind eigentlich auch Vegetarier eine Glaubensgemeinschaft? (Weiterlesen)

Klar wie Kloßbrühe

Dass die Komödien-Rechnung von „Extrawurst“ voll aufgeht, war von vornherein klar. Schließlich stammt der Text von Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob. Zwei Autoren, die schon Drehbücher für „Stromberg“, „Pastewka“ oder „Switch“ schrieben. Und als wäre das noch nicht spitzzüngiges Spaßpotential genug, kommt dann noch Georg Clementi als Regisseur hinzu. Spätestens jetzt klingelts in Salzburg. Clementi? Der kann auch Komödie. Schließlich ist der Südtiroler genauso sprachakrobatisch und pointiert unterwegs wie die deutschen Kollegen. Kann also nichts mehr schief gehen, wenn die fidele Wagentruppe für das Salzburger Publikum seine Extrawurst brät.

Das Wimbledon der Dialoge

Auf den eben genannten Vorschusslorbeeren ruht sich in dieser Inszenierung trotzdem niemand aus. Die Ironie-Latte liegt hoch und wird mit temporeichen Dialogen bedient, die Sätze über das imaginäre Netz sausen lässt wie die Sportler in Wimbledon ihre kleinen gelben Bälle. Allerdings mit dem großen Unterschied, dass hier noch mächtig Ironie an den Wurfgeschossen hängt. Das tut der Geschwindigkeit aber keinen Abbruch, sondern heizt sie ferner an. Mit viel Empathie und Humor wagt sich das Ensemble auf dünnes Eis. Dass niemand einbricht, liegt vermutlich daran, dass Komödie vieles darf. Vor allem dann, wenn sie als Dramödie angepriesen wird. Political Correctness? Darauf gepfiffen. Vorauseilender Gehorsam? Kann „Extrawurst“ mal.

Liebling, reich‘ mir mal das Soziotop

Es ist das Eckige und Kantige, das pauschal Inkorrekte, das zu großer Erheiterung im Publikum führt. Das, was normalerweise nur hinter vorgehaltener Hand geäußert wird, darf in den Fokus und heiter bis ungeniert studiert werden. Die Bühne als Soziotop, das einen paradigmatischen Querschnitt der Gesellschaft bietet und ihn durch Übersteigerung obsolet führt, aber gleichzeitig nicht zu extrem ausfällt. Im Fall von „Extrawurst“ also im Setting eines Tennisverein; der augenscheinlich natürliche Lebensraum eines Durchschnittsmitteleuropäers – wobei, vielleicht wäre auch eine Schrebergartensitzung (im städtischen Raum) oder noch besser, ein Siedlungsfest (in dörflicher Umgebung) sehr passend gewesen.

Die Stereotype werden vom Ensemble wunderbar dargestellt. Da ist Herbert (Alex Linse), der schlagfertige Diktator in Weiß, der sich am liebsten selbst reden hört. Matthias (Alexander Gerlini), sein Stellvertreter, und Fan farbenfroher Präsentationen, der sich zuerst ständig unterordnet, ehe die Ressentiments aus ihm hevorbrechen. Lukas (Thomas Pfertner) hingegen witzelt sich als Wortjongleur eloquent durch den Abend, aber auch ihn übermannen irgendwann die Gefühle. Freundin Melanie (Karoline Troger) ist zwar primär friedfertigen Naturells, gleichzeitig wirken so viele Emotionen ansteckend. Und dann ist da noch Erol (Paul Clementi), der unfreiwillig zwischen die Fronten gerät, und irgendwann auch sein Innerstes nach außen trägt.

Dramödie: „Extrawurst“

Politisch inkorrekt und falsch auf so vielen Ebenen, aber gleichzeitig unglaublich amüsant: „Extrawurst“ oszilliert emsig zwischen Komödie und Tragödie und wird zum Spiegel der Gesellschaft. Von wegen, dass nur die Tragödie zur Katharsis führe; Aristoteles, Opitz, Lessing oder wie sie alle heißen, sollten ihre Meinung nochmals überdenken. Auch Komödie hat einen ziemlich reinigenden und moralanregenden Effekt, in dem es Vorurteile mit Lachen auf den Prüfstand stellt und zeigt, dass Rassismus sehr viel stärker im kulturellen Gedächtnis verankert ist als gedacht, in beide Richtungen funktioniert und vielleicht nicht aus jeder Mücke ein Elefant gemacht werden sollte.

Übrigens, spannendes Detail am Rande. Wenn Erol zum Quotenmoslem avanciert, warum kümmert sich dann eigentlich niemand um Melanie? Als einzige Frau an einem Abend voller Vorurteile hätten sie und ihre Geschlechterkolleginnen schon etwas mehr Aufmerksamkeit verdient beziehungsweise die Absenz eben solcher. Aber, das Stück wurde von zwei Männern verfasst. Wen wundert’s also wirklich…?! 😉

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Fotonachweis: SKV / Leo Fellinger

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