TINDER - A FUCKED UP NIGHT: B. Blumencron

Tinder – A fucked up night | Schauspielhaus Salzburg

Viva la Imperfektion.

Goethe, Schiller? Who cares! Mit TINDER – A FUCKED UP NIGHT setzt das Schauspielhaus Salzburg auf wunderbar aktuellen und herrlich punkigen Stoff aus der Feder von Ben Pascal. Selten war Scheitern so amüsant.

Ich kann nicht genau sagen, wann es passierte, aber irgendwann fand ein Umdenken statt. In den Neunzigern war es noch völlig okay, Trübsal zu blasen. Britpop war total modern und niemand konnte so hübsch leidend „the grass is always greener on the other side“ ins Mikro jammern wie Travis. Mit der Jahrtausendwende bejubelte man plötzlich das Schöne und Perfekte. Selbsthilfe Ratgeber zum glücklichen Leben oder Einssein mit dem Universum sprossen aus dem Boden wie andernorts die Pilze. Wer dachte, schlimmer geht nimmer, wurde mit dem Aufkommen von Social Media eines Besseren belehrt. Über Nacht war die Welt in Pastell getaucht. Jammern? Total uncool. Happy-go-lucky und das bitte immer schön instagramable! Auf den diversen Online-Plattformen dominiert seither die Schokoladenseite – selbstverständlich mit Filter. Aber… die gute Nachricht, es brodelt bereits neuerlich unter der Oberfläche. DTINDER - A FUCKED UP NIGHT: B. Blumencronie Welt hat die Schnauze voll: vom perfekten Partner, den perfekten Kindern, kurzum dem perfekten Leben der anderen. Nieder mit der Perfektion!

In aller Plot-Kürze

Die Ich-Erzählerin ist frustriert. Vom Leben im Allgemeinen und ihrem im Besonderen. Sie ist Vierzig und wollte eigentlich immer Musikerin sein. Hat halt bisher nicht so ganz geklappt. Stattdessen ist sie mäßig erfolgreiche Schauspielerin, die ihre Texte allesamt langweilig findet. Nur eines weiß sie ganz genau: dass sie nichts wirklich kann. Noch nicht einmal das Scheitern will ihr gelingen. Dabei gibt sie sich so kolossal viel Mühe, dem Publikum ihre Schwächen und Mängel in einer Fucked Up Night näher zu bringen.

Nächte des Scheiterns

Fucked Up Nights sind ein Trend, der aus Mexiko in die Alte Welt schwappte. Ursprünglich handelte es sich bei diesen „Nächten des Scheiterns“ um Treffen zwischen Freunden, die sich über Fehler austauschten. So weit, so banal. Jede*r, der eine*n beste*n Freund*in hat, kennt diese Situation. Die Fucked Up Nights gingen aber weiter: Das Publikum war größer und die Vorstellungen so gut besucht, dass sich daraus ein Trend entwickelte. Statt in Depressionen und Trauer zu versinken, gab man auf einer Bühne vor lauter Fremden seine Fehlschläge zum Besten. Viva la Imperfektion – und ganz nebenbei rettet das gepflegte Scheitern aus dem zuckerrosa Vollkommenheits-Wahn der anderen.

Ben Pascal brachte mit seinem Monolog TINDER – A FUCKED UP NIGHT die Ode an das Scheitern nach Salzburg ins Schauspielhaus. TINDER - A FUCKED UP NIGHT: B. BlumencronUnd wer jetzt glaubt, das wäre schon alles an Zeitgeist, falsch gedacht. Mit ins imperfekte Paket darf auch noch Tinder. Das Resultat ist eine humorig kurzweilige Mängel-Show mit frechen Sprüchen, erstaunlich vielen Kalauern und noch mehr Liebe zum sprachlichen Detail.

Spiel mir das Lied vom Wort

Bina Blumencron schlüpft bei TINDER – A FUCKED UP NIGHT in die Rolle der gescheiterten Existenz und wuppt den heiter-verzweifelten Monolog mit wehenden Fahnen. Wobei, so ganz alleine ist sie rein theoretisch gar nicht. Während bei den realen Nächten die Regel gilt: Es darf kein Text mitgebracht werden, nur Bilder oder Power-Point-Präsentationen sind erlaubt, herrscht im Schauspielhaus das Motto, Ex-Freunde willkommen.

Die Monologe der Schauspielerin wandeln sich unvermutet zu ‚Dialogen‘, wenn sie ihre Verflossenen in Puppenform auf die Bühne bittet (Ausstattung: Lili Brit Pfeiffer). Dafür schlüpft Bina Blumencron eloquent und spielfreudig in sämtliche Rollen. Vom lispelnden José Salvador aus San Sebastián über den durchschnittlichen Max bis zum sehr deutschen Jens und very Aussie Jack. Die Inszenierung erhält durch die locker-leicht präsentierten Wortspiele der Schauspielerin seine immanente Fröhlichkeit. Wenn die Ich-Erzählerin deprimiert, aber keck mit „gescheit, gescheiter, gescheitert“ darauf losreimt oder von „Roman, dem Schlafforscher“ erzählt,TINDER - A FUCKED UP NIGHT: B. Blumencron der „vielleicht doch Anders ist und nicht da“, dann befeuert diese sprachliche Ambivalenz den Humor. Vom Publikum sichtlich goutiert, die spontane Rap-Einlage zu Max, dem Gegenteil eines Mustermanns.

Heute schon gescheitert?

Es sind die lebensfrohe Selbstironie und der lockere Sarkasmus, die den Humor von TINDER – A FUCKED UP NIGHT konstituieren.  Aber nicht nur auf sprachlicher Ebene hat das Stück so einiges zu bieten. Auch dramaturgisch wunderbar: die über den ganzen Raum verstreuten Verflossenen der Protagonistin. Immer wieder zerrt sie irgendwo einen Ex hervor und schleppt ihn liebevoll auf die Bühne, um das Geschehen zu rekapitulieren.

Wer sich davor noch fragt, warum und wieso… Am Ende ergibt alles Sinn. Der Kreis schließt sich und die Musiker vernarrte Schauspielerin hat ihre eigene Band auf der Bühne.  Nebenbei beweist die tatsächliche Schauspielerin ihr Talent für Musik. Dass Ben Pascal und Bina Blumencron gemeinsam in der Band Elva sind, erklärt dann auch die Affinität zu spaßigen, neu getexteten Coverversionen des King of Rock’n Roll. Gleichzeitig erspart es dem Monolog eine eigene Band. Alle Instrumente werden selbst durchprobiert. Mal ironisch, mal unauffällig als Soundtrack nebenbei, sicher ist: Das musikalische Repertoire sitzt, der ironische Humor ebenfalls.

 

Fotonachweis: Schauspielhaus Salzburg

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