DER TALISMAN | Wolfgang Kandler

„Ich wünsche mir von der Politik: Zuerst denken, dann reden.“

Need for Speed: Vorgestellt Wolfgang Kandler

Lockdown, italienische Gassenhauer und Systemrelevanz, der Salzburger Schauspieler Wolfgang Kandler macht sich gerne eine eigene Meinung und schwimmt dafür auch gegen den Strom.

Lockdown ist nicht gleich Lockdown, zumindest im Auge des politischen Betrachters. Dieser Meinung ist auch Wolfgang Kandler. Als Schauspieler hat er aktuell das Gefühl, für nicht systemrelevant befunden zu werden. Statt auf der Bühne zu stehen, muss er zuhause bleiben. Endlich durchschnaufen und sich die wohlverdiente Auszeit gönnen? Das schaffte der Mime genau ein paar Tage. Als Mitglied der freien Szene ist es Wolfgang Kandler gewohnt, immer mehrere Projekte auf einmal zu stemmen und dabei mal eben auch den eigenen Rekord zu brechen.

„Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass es schon auch der eigene Ehrgeiz ist zu sagen, okay, das geht sich jetzt auch noch aus.“ Die ersten Tage habe er deshalb als extremst befreiend empfunden. „Zum Zeitpunkt des Lockdowns stand ich vor einer 63 Stundenwoche und dachte mir noch: Den Blödsinn machst du nie wieder. Da war es dann schon eine Erleichterung, als alles plötzlich wegfiel“, verrät der Schauspieler und zieht trocken Bilanz: „Dann folgte aber leider auch recht bald die Erkenntnis, Mist, das muss du alles wieder einarbeiten.“

AMADEUS | W. Kandler
W. Kandler in AMADEUS © Sebastian Marcovici

Eingesperrt, aufgestanden, Krönchen gerichtet und weiter gespielt

Als Einmann-Unternehmen mit Familie ist Wolfgang Kandler auf Engagements angewiesen – je mehr, desto besser. Da gehe es ihm wie allen anderen Selbstständigen auch, so der Schauspieler. Deshalb begegnete er der Pandemie mit Zweckoptimismus: „Ich richtete den Blick nach vorne, las täglich die Updates und machte, was eben gemacht werden musste. Ich konnte die Situation zwar nicht ändern, aber zumindest meinen Beitrag dazu leisten, dass es meinen Kindern gut ging und das auch weiterhin tun wird. Es ist so ein Gemeinschaftsding,“ zieht der Schauspieler Resümee, „je mehr mitmachen, desto besser.“

Runter vom Tempo

Wie ist das jetzt also, wenn man plötzlich aus dem verrückten Hamsterrad geworfen und auf eiskalten Bühnen-Entzug gesetzt wird. Gibt es da eine Lücke zu füllen? Wolfgang Kandler lacht und zitiert seinen Kollegen Simon Jaritz-Rudle, Hey Alter, ich habe Kinder, ich muss gar nichts kompensieren.“ Als Erwachsener könne man mit klarer Sicht an die Dinge rangehen, aber bei Kindern sei irgendwann Schicht im Schacht. Die wollen raus und einfach nur Kindern sein. Ein kleines bisschen Kompensation darf sich dann aber selbst der schauspielernde Vater gönnen: „Ich gehe laufen, das ist mein Ventil, wo ich kurzfristig mal ausblasen kann.“

Inzwischen hat sich der Schauspieler eine weitere Profession erarbeitet: Durch das Home Schooling ist Wolfgang Kandler wie viele andere auch zum Interimslehrer avanciert, freut sich aber schon auf die Zeit, wo dieser Kelch an ihm vorbeigezogen sein wird. „Klar, Mama und Papa sind nicht die Frau Lehrerin. Mit Fortschreiten der Maßnahmen möchte mein Kind auch wieder direkten Bezug mit der Schule haben. Außerdem ist Zuhause die Ablenkung viel größer. Wenn die kleine Schwester italienische Gassenhauer rumtrötet, die ihr der Papa da so eingegeben hat, dann kann das schon eine ziemlich große Herausforderungen sein“, plaudert der Schauspieler schmunzelnd aus dem Nähkästchen.

Sujetfoto Schauspielhaus Salzburg 20|21 © Chris Rogl

Theatervirus

„Am meisten vermisse ich aktuell das Interagieren mit Kollegen und Kolleginnen, schließlich bin ich selbst auch noch Kind und da fehlt mir das Spielen einfach.“ Gleichzeitig ist sich Wolfgang Kandler der Ambivalenz seiner Gefühle bewusst. „Jeder Job bringt so seine Nachteile mit sich, was mir aktuell so gar nicht fehlt… mhhh? Schwierig. Momentan ganz offensichtlich nichts, aber“ so der Schauspieler weiter und lacht, „frag mich das in drei Monaten noch mal. Da habe ich dann vermutlich bereits eine Liste. Aktuell freue ich mich allerdings auf alles, was da kommen mag.“

Zurück in die Normalität

Ab Sommer geht es wieder ein kleines bisschen weiter zurück in die Normalität. Am Schauspielhaus, erzählt Wolfgang Kandler, werde  jede*r Schauspieler*in einzeln für das Eröffnungsstück DER GROSSE GATSBY proben. Wenn die Bundesregierung alles so laufen lasse wie geplant, dann werde er aber früher als September mit einer Premiere auf der Bühne stehen. Für den 6. August sei die von Ben Pascals FETTE SCHWEIN (Neil LaBute) angedacht.

Apropos Politik. Respekt ringe ihm zur Zeit Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler ab. „Sie möchte keine Extrawürste für die Festspiele, das finde ich wirklich großartig. Genauso wie die Tatsache, dass sie klar Position bezieht. Entweder alle Theater können öffnen oder keines.“ Allerdings stelle Wolfgang Kandler in Frage, wie mit dem Hochfahren der Dinge umgegangen werde. „Wie sieht das beispielsweise mit dem Mindestabstand aus? Aktuell lässt das Thema viel Raum für Interpretation. Gerne wird gefordert: ‚Schalte dein Hirn ein und denk halt mit‘. Ja, das versuche ich auch, aber proben mit einem Meter Mindestabstand und 20 m2 für jede*n Schauspieler*in? Wir haben leider keine Staatsoper, sondern halt nur ein kleines Theater. Da kannst du dann nur noch Monostücke spielen. Deshalb wünsche ich mir von der Politik: Zuerst denken, dann reden.“

Masse und Macht

„Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist,“ an den Sager der Ibiza-Affäre erinnert Wolfgang Kandler bei dieser Gelegenheit und zieht daraus seine eigene Conclusio, „ehrlich gesagt, finde ich es schon erstaunlich. Sobald es um das eigene Leben geht, ist der Mensch bereit, sehr viel in Kauf zu nehmen. Dieser kleine Virus, den wir nur von Bildern oder 3D-Animationen kennen, hat es geschafft, ganze Massen in Panik zu versetzen. Ja klar, die Menschen hatten auch Angst vor dem Kalten Krieg, der Atombombe und so weiter, aber da gab es nur kurz Eskalationen, die sich relativ zügig wieder legten, weil man schnell lernte, damit zu leben. Und dann kommt da dieses kleine Ding mit Krone daher und stellt die Welt auf den Kopf.“

DER TALISMAN | Wolfgang Kandler
„So kopflos urteilt die Welt über die Köpf’, und wann man sich auch den Kopf aufsetzt, es nutzt nix. Das Vorurteil is eine Mauer, von der sich noch alle Köpf’, die gegen sie ang’rennt sind, mit blutige Köpf’ zurückgezogen haben“ W. Kandler in TALISMAN © Wolfgang Kandler

„Natürlich ist es jetzt für die Politiker verlockend, von einer zweiten Welle zu sprechen. Wir sind inzwischen wunderbar darauf konditioniert, in so einem Fall sofort wieder zum Mund-Nasenschutz zu greifen, Rollläden runterzulassen und den Kopf in den Sand zu stecken. Das wissen die Politiker ganz genau. Also ich finde das schon bedenklich. Masse und Macht eben.“

Unwort der Pandemie: Systemrelevanz

Und dann ist da noch die Sache mit der Systemrelevanz. „Auch wenn die freie Szene nicht die Festspiele sind, sitzt auch bei uns in jeder Vorstellung der Finanzminister und kassiert mit. Wir zahlen alle Lohn- oder Einkommenssteuer. Das Publikum übrigens auch, wenn es Sekt, Wein und Brötchen konsumiert.“ Die freie Szene sei kein Fass ohne Boden betont Kandler, sondern bringe genauso Geld in die Staatskassen. Der springende Punkt sei die fehlende Lobby. „Je stärker der Rückhalt, desto schneller wird ein Gewerbe wieder hochgefahren.“ Allzu oft mangle es an fundierten Begründungen. „Wenn ich aber sage, der Friseur kann früher aufsperren, weil da nur fünf Stühle stehen und jeder einen Meter Abstand hat, macht das Sinn. Genauso muss es sich beim Theater auch ökonomisch rentieren. Ich brauche genügend Menschen, die das konsumieren können. Aber einfach nur zu sagen, ihr seid nicht systemrelevant, finde ich schon sehr ungeschickt und nicht durchdacht“.

 

Fotonachweis: siehe Bildunterschriften

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