Yellow Line – Das OFFTheater

ES FLIEGT, ES FLIEGT… EINE KUH

Sozialsatire am OFFtheater: Die muss laut, schrill und sehr bunt sein. YELLOW LINE macht es vor und erobert als schräge Groteske die kleine, aber feine Bühne in der Eichstraße.

Die Kuhglocke der bäuerlichen Europa-Allegorie läutet laut und deutlich. Sie lockt das Publikum in Scharen an, um es in den Zuschauerstall zu treiben. Wobei, treiben ist hier eigentlich der falsche Ausdruck. Nur allzu willig trottet die eifrige Schar der Allegorie hinterher. Dort erwartet sie schon ein eingezäunter Bereich; nein, keine gelbe Linie – die folgt erst später -, sondern ein weißer Weidezaun und die eindringliche Bitte, die Schauspieler während des Fluges nicht zu füttern. Was so grotesk daherkommt, ist eine paradimagtische Einstimmung auf das Kommende. Und das nennt sich YELLOW LINE.

In aller Plot-Kürze

In Nordafrika fällt eine Kuh vom Himmel und trifft das Boot eines Fischer. Der wird von Frontex aus dem Wasser geborgen und in Schubhaft genommen. Dabei will Asch-Schamich doch gar nicht in Europa bleiben, sondern zurück nach Sirte. Performance-Künstler Paul versteigert sich indes selbst für den Arabischen Frühling und Libyen – #empörteuch! Empörend findet Helene den selbstinitiierten Menschenhandel im Namen der Kunst und die zwei Wochen All-Inclusive-Urlaub in Ägypten. Wo bleibt denn da die Selbstbestimmung bei all den verschlungenen Club-Wegen, fixierten Essenszeiten und Freizeitzwängen? Nach Selbstbestimmung dürstet es auch Kuh Yvonne, die mit ihrer Flucht die Medien in Bayern und Österreich in Atem hält.

#freedom

Intelligente Satire ist gar nicht so einfach zu verpacken. Noch schwieriger wird es, wenn gleich mehrere Sterneköchinnen den literarischen Löffel schwingen und sechs Jahre später ein theatraler Chef das Gericht verfeinert. So wie bei Charlotte Roos und Juli Zeh, die 2012 mit ihrem Auftragswerk YELLOW LINE eine höchst humorige Groteske erschaffen haben. Die zieht ihren Witz, ihre Pfiffigkeit und ihre subtil verpackte Sozialkritik aus den unterschiedlichen Erzählsträngen, die sich nur scheinbar parallel entfalten. Kein leichtes Unterfangen also, dem sich Jonas Meyer-Wegener mit seiner Inszenierung stellte. Ehe man sich’s versieht, verfeinert der findige Chef die scheinbar exaltierte Handlung, portioniert neu und würzt kräftig nach. Als knallgelber Rahmen fungieren dabei nach wie vor das erste und das letzte Bild, die – ähnlich wie der Gral bei König Artus – den Schlüssel zu schlichtweg allem bieten.

Die Hauptaussage von YELLOW LINE ist eine klar markierte: Unsere leistungsorientierte Gesellschaft ist ein Konstrukt, das eigentlich ad absurdum geführt werden müsste. Nur fällt das niemandem auf. Doch halt, Juli Zeh und Charlotte Roos schon, die bei ihren Recherchen auch über Bernhard Kathans „Schöne neue Kuhstallwelt“ stolperten und offenbar auf den Geschmack kamen – oder einfach nur Parallelen erkannten. Der Mensch als Herdentier und die dazugehörigen individualistischen Gegenentwürfe. Während die einen also voll auf Herde fixiert sind und sich gerne im Pauschalreiseurlaub entmündigen lassen, rebellieren die anderen oder verweigern die aufgenötigte Einreise ins „gelobte Europa“. So wie Performance-Künstler Paul (Alex Linse ansprechend selbstgefällig), der sich zwar eindrucksvoll und effektiv für den guten Zweck – also #freedom und den Arabischen Frühling – versteigert. Gleichzeitig frönt er aber ungeniert den Zwängen des All-inclusive-Diktats und steht bei der Aqua Aerobic in der ersten Reihe. Ehefrau Helene (Anja Clementi als nerdige ITlerin) kann und will dieses Verhalten nicht akzeptieren und reagiert mit großartiger, kontinuierlich anschwellender Renitenz. Die kulminiert in einer fatalen und äußerst amüsanten Szene am Flughafen, mit der titelgebebenden gelben Linie als Movens. Kompromisslos zeigt sich auch die Flughafen-Bediensteten beim Check-in (eine enervierte Diana Paul mit herrlich holprigem Englisch), weswegen kurz darauf der Security-Mann (Max Pfnür) breitbeinig, wichtig und mit Fliegerbrille heranschlurft.

Oh schöne neue Welt…

Da eine Sozialsatire am OFF schwerlich dezent über die Bühne gehen kann, hält man dem schrillen, lauten und sehr bunten Credo die Treue. Max Pfnür stöckelt grazil in enger Kunststoffhose über die Bühne oder gibt einen enthemmten, zu Anglizismen tendierenden DJ. Auch das völlig überdrehte Schoßhündchen Püppi beherrscht er vorzüglich; mit fieser Friese schießt der Chihuahua von einer Ecke in die nächste und quietscht sich die Seele aus dem Leib. Konträr dazu der sehr phlegmatische Mischling, für den sich Alex Linse eine noch fiesere Haarpracht und eine Felljacke überstülpt. Schweiß lass‘ nach bei den aktuell herrschenden hochsommerlichen Temperaturen – der Effekt ist allerdings höchst amüsant.

In Jonas Meyer-Wegeners Inszenierung huldigen alle dem Herden-Management. Immer wieder treten Kuh-Allegorien auf, die mit ihren goldenen Umhängen wie Anhänger einer Sekte anmuten oder ein goldenes Kalb. Die Religionen ändern sich, die Botschaft nie: Herden-Management ist die Zukunft, Herden-Management löst alle Probleme. Halleluja! Aber was will eigentlich der Mensch und will er überhaupt noch irgendetwas bei so viel Entmündigung? Helene ja! Die verschwestert sich im Geiste mit Kuh Yvonne und lässt sich von ihr inspirieren. #freedom also, wenngleich auf effizientere Art und Weise als Paul, der zwar dafür protestiert, dann aber das Gegenteil lebt. Die seltsame Werteverdrehung ist dem kreativen Chef gezollt, der sich längst einen Stern erkochte und jetzt fleißig den Kontrast schärft. Die Differenz-Messer werden weiter poliert, wenn auf der einen Seite ein Soldat (Diana Paul in schwerer Montur und mit Wiener Dialekt) von der Aussendung französischer Soldaten nach Libyen berichtet und auf der anderen Seite ein Reporter (Max Pfnür) ausführlich von der Suche nach Kuh Yvonne in Bayern. Der Aufwand scheint sich die Waage zu halte. Oh schöne neue Welt…

Musik liegt in der Herdenluft

Zwischen den gelben Linien und der Frage nach dem Warum? Fischer Asch-Schamich (Max Pfnür) und seine Dolmetscherin (Diana Paul), die sich in einem spannenden Sprachkonglomerat unterhalten. Das klingt bei den breit gestreuten Rachenlauten für das ungeschulte europäische Ohr stark nach Arabisch, ist es vermutlich zum Teil auch – oder doch etwa ganz? Manchmal erinnert das Kauderwelsch aber eben auch an eine Fantasiesprache mit Halskrankheit. Zumindest Letzteres darf getrost ausgeschlossen werden. Asch-Schamich und seine Dolmetscherin bilden neben Helene und Paul den roten Faden und sorgen zugleich für eine tragisch-komische Komponente. Das Ergebnis ist eine Sozialkritik-Schau, die tatsächlich Spaß und Laune macht. Vermutlich ist das dem gewissen Selbsterkennungseffekt gezollt, der unweigerlich früher oder später eintritt.

Übrigens, ein letztes Lob muss jetzt doch noch raus; neben Kulisse, Schauspiel und Co: die musikalische Untermalung. Die führt den grotesken Charakter auf wunderbare Art und Weise fort und baut ihn weiter aus. Schön.

 

www.max-pfnuer.com

Fotonachweis: Sabine Bernetstätter

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