Political Correctness wtf. Michael Niavaranis Inszenierung “Manche mögen’s voll verschleiert“ am Salzburger Landestheater
Wo Michael Niavarani drauf steht, muss es rundgehen. Für die Bühne adaptierte der Kabarettist, Autor & Co „Manche mögen’s voll verschleiert“ und zeigt, dass Vorurteilen am besten mit Humor zu begegnen ist.
Männer, die in Frauenkleider schlüpfen. Ein alter Hut. Ein so alter Hut sogar, dass er an dieser Stelle sicher total ramponiert daherkommen würde, wenn, ja, wenn er nicht von Sou Abadi amüsant und mit politisch absolut inkorrektem Tonfall in eine neue Form gepresst worden wäre. „Cherchez la femme“ heißt das französische Original, das temporeich und mit viel schwarzem Stoff reihenweise die Vorurteile zu Fall bringt. Wer wäre also besser für eine österreichische Bühnenfassung geeignet als Michael Niavarani? Österreichs Kultkabarettist kennt sich mit kulturellen Differenzen wunderbar aus; nimmt er doch selbst am liebsten die eigenen persischen Wurzeln aufs Korn. Mit „Manche mögen’s voll verschleiert“ zeigt das Salzburger Landestheater in Koproduktion mit dem Globe Wien und dem Theater im Park am Belvedere wie sich Vorurteile am besten beseitigen lassen: durch Lachen, Lachen und noch mehr Lachen.
In aller Plot-Kürze
Alexander und Leila studieren Politikwissenschaften und sind frisch verliebt. Gemeinsam wollen sie nach New York ziehen. Doch kurz vor ihrer Abreise durchkreuzt Leilas Bruder Amir ihre Pläne. Zurück von einem längeren Aufenthalt im Jemen, wendet sich der radikalisierte Amir gegen die romantische Beziehung seiner Schwester. Alexander und Leila bleibt keine Wahl: Um sich unerkannt treffen zu können, muss Alexander einen Niqab tragen. Getarnt als Leilas neue beste Freundin Scheherazade geht Alexander bei ihr ein und aus. Amir verliebt sich in die geheimnisvolle Frau mit den wunderschönen Augen, die ihm die Welt der Poesie und der islamischen Mystik eröffnet.
Kesses crossdressing
Die mysteriöse Frau unterm Niqab teilt mehr als nur den Namen mit der Scheherezade aus „Tausendundeine Nacht“. Ok, vielleicht auch nicht ganz sooo viel. Zumindest aber die klugen Geschichten und den despotischen Mann, der sich in sie verliebt. Im Fall von „Manche mögen’s voll verschleiert“ ist genau das das Movens, das die Komödie auf Tempo hält. Unter den Lagen des Niqabs steckt schließlich Alexander (Hanno Waldner), der Freund von Schwester Leila (Ariana Schirasi-Fard) und damit der höchstpersönliche Dorn im Fleisch des radikalisierten Amir (Maximilian Paier). Paiers Amir lässt nichts an Fanatismus zu wünschen übrig. Aggressiv und herrisch tritt der große Bruder auf und beginnt sofort mit der Re-Dekoration der Wohnung (Bühne & Kostüme: Eva Musil.
Humoristische Desmaskierung: Ein Plädoyer für Michail Bachtins Lachkultur
Bereits an dieser Stelle wird die Idee von Autor und Regie sichtbar: Mit Lachen reagiert die Inszenierung auf Ideologien und Extreme. Gleichzeitig driftet „Voll verschleiert“ nie ins Lächerliche ab (Dramaturgie: Friederike Bernau). Das Stück desmaskiert die Radikalisierung lieber mit klugen Einwänden und wunderbaren Pointen und demonstriert, dass jede Medaille zwei Seiten besitzt. Der Culture Clash funktioniert auch deshalb so gut, weil hier alle ihr Fett wegbekommen. Selbst die persischen Eltern von Alexander; Mutter Mitra (Tina Eberhardt) ist eine Feministin par excellence, Vater Darius ein waschechter Kommunist (Christoph Wieschke). Beide sind so vorbildlich assimiliert, dass sie dem Sohn prinzipiell nie zuhören. Feine Humornote: Die Demo gegen den radikalisierten Islam, die vor einem Kinderspielplatz stattfinden muss und für die ein Plakateschwinger engagiert wurde (keck Rachid Zinaladin).
1001 Nacht in „Manche mögen’s voll verschleiert“
Zwischen den Szenenwechseln immer wieder der Clown, Jafar, mit den Charlie Chaplin Vorlieben (Massud Rahnama). Tatsächlich bringt Jafar eine orientalische Note in die sonst sehr auf europäische Vorurteile getrimmte Produktion, die fasziniert. Autobiografische Züge klingen an, wenn der ausdrucksstarke Mime dann doch einmal zu Worten greift. Beim Publikum führt seine Performance immer wieder zu begeisterten spontanen Zwischenapplausen. Apropos Charlie Chaplin. Das Faible der Produktion für den großen Künstler ist nicht zu übersehen, auch wenn das Plakat vom „Great Dictator“ alsbald dem Bildnis des Muslimbruderschaftsgründer weichen muss. Eine sehr passende dystopische Analogie.
Die Dialoge sind konzis, pointiert und schlagfertig. Dass Amir der Scheherezade so vorbildlich auf den Leim geht, scheint verwunderlich, andererseits, das ist Komödie. Hanno Waldner jedenfalls eignet sich die Femme fatale Widerwillen mit Dialog, Niqab und voller Elan an. Commedia dell’arte Züge erhält die Inszenierung dann, wenn pointenreicher Slapstick außer Kontrolle zu geraten scheint. Hier liegt das Stichwort auf dem Verbum. Tatsächlich ist „Voll verschleiert“ absolut durchgetaktet. Trotzdem konstituieren diese physischen Szenen genauso die Pointiertheit der Komödie wie die slapstickartigen Wortwechsel. Als Setting dient ein naturalistisches Bühnenbild, ganz in Manier der französischen Wohnzimmerkomödien, die sich verlässlich in Rage spielen.
Spiegel für die Welt
Eine entzückende Figur macht Aaron Röll als kleiner Bruder, der prinzipiell immer den falschen Eindruck erhält und mit großen Augen dem alten großen Bruder nachtrauert. Modern, aufgeklärt indes Leila selbst (Ariana Schirasi-Fard frech, selbstbestimmt und emanzipiert), wohingegen selbstverständlich just Mahmout, der Konvertit, als stärkster Islamverteidiger auftritt (Marco Dott in einer weiteren Paraderolle). Auch das nimmt diese Inszenierung gekonnt aufs Korn und zeigt einmal mehr, mit Humor hält man der Welt am besten den Spiegel vor.
Fotonachweis: Tobias Witzgall
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